EVG auf Schmusekurs
Von Ralf Wurzbacher
Es sollte schnell gehen und geräuschlos, also kampflos. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat geliefert, und ihre Mitglieder sind dasselbe. Dann nämlich, wenn die nächste Großkrise zuschlägt, was bei den globalen Verwerfungen vielleicht schon morgen passiert. Ziemlich sicher wird der nächste Crash nicht warten, bis der jüngste Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn (DB) ausgelaufen ist. Quälend lange 33 Monate, bis Ende 2027, wird das in der Nacht auf Sonntag vereinbarte Vertragswerk zwischen EVG- und DB-Führung Gültigkeit haben. Aber die Beschäftigtenvertreter verkaufen das glatt als Erfolg. Schließlich hatte der Staatskonzern 37 Monate gefordert.
Nach ihrem vergleichsweise rebellischen Auftritt in der Tarifrunde 2023 hat die EVG in die alte sozialpartnerschaftliche Spur zurückgefunden. Ball flachhalten und dem »Arbeitgeber« bloß nicht wehtun. Das letzte Mal, als sie ein Ergebnis ohne auch nur einen einzigen Warnstreik erzielt hatte, war 2016. Diesmal gab es den Kotau sogar mit Ansage. Sehr deutlich hatte die Gewerkschaftsspitze schon zum Auftakt durchblicken lassen, dass sie eine zügige und friedliche Lösung wünscht. Wie hätte die Bahn da nein sagen können? Bereits in der dritten Gesprächsrunde, nur drei Wochen nach Verhandlungsstart, wurde man sich handelseinig. »Am Ende konnten wir in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten mehr Wertschätzung für harte Arbeit und vor allem auch mehr Sicherheit für die Beschäftigten durchsetzen«, erklärte anschließend EVG-Vizechefin Cosima Ingenschay.
Zur Wahrheit: Die erzielten 6,5 Prozent mehr Lohn könnten sich sehen lassen, liefe der Kontrakt über ein Jahr. Bei fast drei Jahren steuern die rund 190.000 Beschäftigten auf kräftige Reallohnverluste zu. Sehr bezeichnend: Die Festlegung auf eine Höchstlaufzeit hatte sich die EVG im Vorfeld einfach verkniffen. Jetzt rühmt man sich dafür, eine Verlängerung der Beschäftigungssicherung bis Vertragsende durchgesetzt zu haben. In diesem Sinn hätte man wohl auch einen Fünfjahreskontrakt bejubelt. Die erste Gehaltserhöhung von zwei Prozent soll zum Juli dieses Jahres erfolgen, weitere 2,5 Prozent ein Jahr darauf. Auf den letzten Zuschlag von noch einmal zwei Prozent müssen die Kollegen dann bis Dezember 2027 warten. Faktisch werden sie damit über nahezu drei Jahre mit einem Plus von 4,5 Prozent auskommen müssen.
Hunderte Kommentare auf dem EVG-Facebook-Account zeugen von wenig Dankbarkeit. »Zur Feier Ihres Sieges in der Tarifverhandlung dürfen Sie sich gerne bei mir Brunnenwasser und einen Kanten altes Brot abholen, eine Sendung per Post kann ich mir im Hinblick auf eine Gehaltserhöhung unter der Inflationsmarke leider nicht mehr leisten«, ätzte ein User. »Ich denke mal, die Kündigung von mir kommt dann demnächst«, schrieb ein anderer. Begründet hat die EVG ihre Einigungslust mit der nahenden Bundestagswahl und der Sorge, ein möglicher Kanzler Friedrich Merz (CDU) könnte die Bahn zerschlagen und zum Jobkiller avancieren. Das ist neu: Über mehr oder weniger Lohn entscheiden jetzt schon die Demoskopen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas B. aus Berlin (18. Februar 2025 um 08:27 Uhr)Als gewerkschaftliche Basisinitiative ´SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden´ machen wir auf weiter reichende Zusammenhänge aufmerksam: Jenseits der tarifierten Reallohnverluste für die Brotkrumen nicht durchsetzbaren Kündigungsschutzes ist aus friedenspolitischer Perspektive der Tarifabschluss der EVG mit der DB eine Katastrophe! 33 Monate Laufzeit bedeuten mehr als zweieinhalb Jahre ´Friedenspflicht´, also ARBEITSKAMPFVERBOT bzw. – VERZICHT. Angesichts der im Grünbuch Zivil Militärische Zusammenarbeit 4.0 (GB ZMZ) identifizierten Bedeutung der DB als kriegsrelevanter Kritischen Infrastruktur für den in Vorbereitung befindlichen Krieg, bedeuten 33 Monate Streikverzicht die präventive ´Aufstandsbekämpfung´ gegen die im Grünbuch befürchteten antimilitaristische Aktionen und Streiks gegebenenfalls doch noch klassenautonom handelnder Belegschaftsteile. Solche potentiellen ´Störer´ werden im GB ZMZ bereits als ´Teil der hybriden Kriegsführungsstrategie´ eines potentiellen Kriegsgegners identifiziert und kriminalisiert. Auf Seite 48 des GB ZMZ ist unter der Überschrift »Polizeimaßnahmen und resultierende Handlungsnotwendigkeiten« zu lesen, dass die befürchteten »Unruhen forciert und angestachelt werden )könnten( , um zu einem Zustand allgemeiner Unruhe zu gelangen (politische Destabilisierung).« Was da als ´Unruhe´ und von wem da konkret gemeint ist? Auch das ist dort nachzulesen: - Streik des Straßenunterhaltungspersonals (S. 45) - Streik des Bahnpersonals (S.45) - Streik des Hafen-/Flughafenpersonals (S. 46) Ein solcher Tarifvertrag, wie der der EVG, ist in kriegslüsternen Zeiten wie diesen nichts anderes als die aktive Beteiligung der EVG am Burgfrieden auf dem Weg in die Kriegswirtschaft. Statt Friedenspflicht in den Betrieben bedarf es des aktiven gewerkschaftlichen Widerstandes in der Öffentlichkeit und den Betrieben gegen die immer schnellere, wahnsinnige und dreistere Kriegsvorbereitung! Verweigert Euch - Sagt NEIN!
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