Zögern in Warschau
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
Es war ein Dementi mit kurzem Verfallsdatum, das Polens Regierungschef Donald Tusk am Montag auf der Reise zum EU-Sondergipfel in Paris abgab: Nein, er »sehe nicht voraus«, dass Polen eigene Soldaten in eine eventuelle Friedenstruppe für die Ukraine delegieren werde. Er sei dafür, die Entscheidung »ohne Eile und ohne Scham« zu treffen, wie es das Motto seiner Heimatstadt Gdańsk besage.
Das missfiel den Militärexperten des Landes. General Roman Polko, ehemaliger Kommandeur der Sondereinsatztruppe GROM, sagte dem Portal Wirtualna Polska, eine solche Zurückhaltung werde sich nicht durchhalten lassen. Ein anderer General, Dariusz Łukowski vom Nationalen Sicherheitsbüro, das dem Staatspräsidenten untersteht, sekundierte dagegen Tusk und sprach dessen Hintergedanken aus: Heute sei nicht der geeignete Moment, um Truppen zu entsenden – aber die Szenarien könnten sich entwickeln, dann könne man nichts ausschließen. Ähnlich hatte sich schon am Wochenende auf der Münchener »Sicherheitskonferenz« Polens Außenminister Radosław Sikorski geäußert. »Europa« werde nicht darum herumkommen, den »Frieden« in der Ukraine mit eigenen Soldaten zu garantieren, damit Russland nicht auf den Gedanken komme, eine für es unbefriedigende Waffenstillstandsregelung in einem weiteren Krieg zu seinen Gunsten zu korrigieren.
Tusks Äußerung vom Montag zeigt: Polen möchte vermeiden, allein in »Vorleistung« zu gehen. Bisher gibt es zwar grundsätzliche Zusagen aus Großbritannien und Absichtserklärungen aus Frankreich, aber bei dem Pariser EU-Treffen war auch deutlich geworden, dass viele Fragen zu einem solchen Einsatz noch nicht geklärt sind. General Polko zum Beispiel erklärte es für wünschenswert, an einer Ukraine-Friedenstruppe auch Soldaten aus Indien und China zu beteiligen. Diese werde Russland dann wohl kaum angreifen, so Polko. Womit er womöglich recht hat, aber auch an einen wunden Punkt rührte: Will der europäische Teil des ehemals kollektiven Westens wirklich eine solche Aufwertung Chinas herbeiführen?
Tusks Formulierung von einer Entscheidung »ohne Eile und ohne Scham« rührt aber noch an weitere Dilemmata der polnischen Haltung gegenüber der Ukraine. Zwar ist das Grundprinzip polnischer Ostpolitik seit dem Zerfall der Sowjetunion, eine von Russland unabhängige und gegen Moskau positionierte Ukraine zu schaffen und zu unterstützen – aber eben als Pufferstaat, der eine direkte Auseinandersetzung mit Russland erspart. Das würde entfallen, wenn jetzt nicht mehr die Ukraine Polen vor einem russischen Angriff absichern sollte, sondern umgekehrt Polen die Ukraine. Hinzu kommt das polnische Trauma, das Land könne wieder einmal wie schon 1939 von seinen Alliierten im Stich gelassen werden, wenn es vorschnell ins Risiko gehe.
Bilaterale Argumente kommen hinzu: Russlands Propaganda unterstellt Warschau seit Jahren, es wolle mit seiner Unterstützung der Ukraine in Wahrheit wieder die Hand auf die bis 1939 polnischen Ostgebiete legen. Das wird offiziell immer wieder dementiert und erscheint auch politisch unlogisch. Denn mit einer solchen De-facto-Annexion der Westukraine – der Moskau wahrscheinlich gern zustimmen würde – bekäme Polen auch alle Probleme mit einer nationalistisch aufgeladenen ukrainischen Minderheit zurück, die in der Zwischenkriegszeit die polnische Zweite Republik destabilisiert hatten.
Andererseits zählt aber Warschau schon die Milliarden, die es von einer Beteiligung am ukrainischen »Wiederaufbau« für die eigene Wirtschaft abzweigen könnte. Angesichts der Unverblümtheit, mit der Donald Trump schon als Entgelt für die vergangene Unterstützung der Ukraine 50 Prozent der Bodenschätze des Landes verlangt hat, wird es für Polen ohnehin schwer werden, sich einen relevanten Rest als Verfügungsmasse zu sichern. Das Argument, dass während des Krieges der Großteil der Militärlogistik über polnische Flughäfen und Bahnlinien gelaufen ist, wird dann nicht mehr reichen. Vergangenes Engagement in klingende Münze für die Zukunft umzuwandeln – dazu müsste man schon ein anderer Donald sein: Trump und nicht Tusk.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (19. Februar 2025 um 14:10 Uhr)Hat Polko die Chinesen gefragt, ob sie an einer solchen Art von Aufwerung interessiert sind? Die VRC könnte sich ja mit Fleecedecken und Klappspaten für »eine eventuelle Friedenstruppe« materiell beteiligen und konsequent dabei bleiben.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (19. Februar 2025 um 01:31 Uhr)»Denn mit einer solchen De-facto-Annexion der Westukraine – der Moskau wahrscheinlich gern zustimmen würde – bekäme Polen auch alle Probleme mit einer nationalistisch aufgeladenen ukrainischen Minderheit zurück, die in der Zwischenkriegszeit die polnische Zweite Republik destabilisiert hatten.« Ja, da ist die Katze aus dem Sack. Natürlich sollen die härtesten Nationalisten und Faschisten der Ukraine (siehe Wahlergebnisse in Galizien) mal schön die Ukraine weiter destabilisieren und Russland bekämpfen. Doch keiner will den schwarzen Peter haben. Keiner möchte sich diese Laus in den Pelz setzen, Russland nicht, Polen nicht. Dann bleibt die EU übrig, welche den nazistischen Teil der ukrainischen Bevölkerung durchfüttern wird und sich von denen destabilisieren lässt. Waffen haben sie ja genug angehäuft und auch genügend Geld von den westlichen Ukrainehilfen abgezweigt. Und das hätte ja auch Tradition. München war nach 1945 schon einmal das Zentrum emigrierter Bandera- oder Ustascha-Faschisten. Da in der Restukraine mit den dann auf ihr allein lastenden Staatsschulden nach dem wirtschaftlichen Bankrott dieser Staat ohne ausländische Finanzierung nicht lebensfähig ist, wird man dort sagen: »Kommt der Euro nicht zu uns, dann gehen wir zu ihm.« Die Wiedervereinigung mit den ukrainischen Nazis, und dieses Mal ist es wirklich eine Wiedervereinigung, hat sich dann aber Deutschland redlich verdient. Ich meine die Regierung und alle, die sie wählten, alle, die mit Ukraine-Fahnen, in Demonstrationen, Medien, mit Geld, zahlreichen Aktionen, Meinungsäußerungen und Unterdrückung abweichender Meinungen die bisherige Ukrainepolitik begrüßten und unterstützen.
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