Friedensstifterin auf Abstellgleis
Von Dominic Iten, Zürich
Die sogenannte Sicherheitskonferenz in München, Gipfeltreffen in Paris, Verhandlungen in Riad – die eine internationale Zusammenkunft ist kaum zu Ende, da folgt bereits die nächste. Die Rolle der Schweiz, die sich noch im Sommer vergangenen Jahres als große Friedensstifterin inszenierte, scheint dabei zunehmend unbestimmt. In München war sie zumindest noch mit dabei, wenn auch nur am Rande. Im Zentrum stand ein sichtlich verzweifelter ukrainischer Präsident, der eine schlagkräftige europäische Armee einforderte, während die EU-Außenkommissarin Kaja Kallas für einen NATO-Beitritt der Ukraine plädierte: Das sei immer noch die beste und billigste Sicherheitsgarantie.
Und US-Vizepräsident J. D. Vance? Der mochte sich in München mit den Sicherheitsinteressen Europas gar nicht mehr wirklich aufhalten – statt dessen attestierte er dem Kontinent ein Demokratieproblem. In seiner Standpauke kritisierte er die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit, vor allem in bezug auf die anstehenden Bundestagswahlen: In einer Demokratie gebe es keinen Platz für »Brandmauern«. Dass einem wie Vance nicht der Aufstieg faschistoider Kräfte Sorgen bereitet, sondern der Widerstand gegen sie, ist keine Überraschung. Das hätte von einer bürgerlichen Demokratin, wie Karin Keller-Sutter eine ist, kritisiert werden können. Doch die Schweizer Bundespräsidentin von der FDP war nach Vance’ Rede hin und weg: »Ein Plädoyer für die direkte Demokratie« habe er geliefert, meinte sie am Sonnabend gegenüber der Tageszeitung Le Temps. Vance habe von »liberalen Werten« wie Freiheit und der Möglichkeit zur Meinungsäußerung gesprochen, seine Rede sei »sehr schweizerisch« gewesen.
Keller-Sutters Äußerungen stießen vor allem bei den Zentristen der Partei Die Mitte und den Grünen auf Unverständnis: Vance’ Rede entspreche nicht den Werten und Institutionen der Schweiz. Keller-Sutters Wertschätzung sei »der Schweiz nicht würdig«, hieß es in einer Pressemitteilung der Grünen. Am Mittwoch fühlte sich die Bundespräsidentin dann genötigt zurückzurudern: Sie habe nur über einen Aspekt der Rede gesprochen, sagte sie in der Sendung »Infrarouge« des Senders RTS. Und zwar über die Aussage von Vance, dass man auf die Bevölkerung hören und die Meinungsfreiheit garantieren müsse. Aber auch ihr Parteikollege und Außenminister Ignazio Cassis lobte vor wenigen Tagen die »Ukraine-Friedensinitiative« von US-Präsident Donald Trump. Auf Anfrage des Tagesanzeigers meldete das Außendepartement, »die durch die USA angestoßene neue Dynamik« sei »grundsätzlich zu begrüßen«.
Die rechte Schweizerische Volkspartei sieht die uneingeschränkte Unterstützung Kiews ohnehin kritisch. Gegenüber dem Portal Watson erklärte der Luzerner Nationalrat Franz Grüter am Mittwoch: »Dass sich die USA und Russland annähern, könnte helfen, den Krieg zu beenden.« Bedauerlich finde er allerdings, dass die Verhandlungen in Saudi-Arabien und nicht in der Schweiz stattfinden. Dies sei das Resultat einer »verfehlten Außenpolitik«. Bei der Ukraine-Konferenz in Bürgenstock im vergangenen Sommer habe sich die Schweiz nicht als neutraler Vermittler positioniert, »sondern als Partei – und verliert jetzt ihren Einfluss in der Welt«, so Grüter.
Während zeitengewendete Sozialdemokraten wie die Abgeordnete Franziska Roth noch bedauern, dass die Schweiz nicht zu Emmanuel Macrons Sondergipfel nach Paris eingeladen wurde, weil sie nicht entschlossener »auf der Seite Europas und der Ukraine steht«, macht Trump bereits den nächsten Schritt. Sein Vorgehen legt nicht nur nahe, dass ein Ende des Abnutzungskriegs in der Ukraine über diplomatische Bemühungen wahrscheinlich schon zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre – er führt auch vor, dass es dazu weder Europa braucht noch vermeintliche Friedensstifterinnen wie die Schweiz.
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