Bayrou unter Dauerbeschuss
Von Hansgeorg Hermann
Frankreichs Ministerpräsident François Bayrou bleibt vorerst im Amt. Am Mittwoch nachmittag überstand er auch den sechsten Versuch der linken Opposition, ihn und sein Kabinett nach nur zehn Wochen Regierungszeit zu stürzen. Bayrou hatte in der vergangenen Woche im Parlament, dem rassistischen politischen Kurs der extremen Rechten einer Marine Le Pen folgend, von einem »Gefühl der Überflutung« des Landes durch Immigranten schwadroniert. Den daraus resultierenden, vom Parti Socialiste (PS) eingebrachten Misstrauensantrag unterstützten lediglich 181 Deputierte der 577 Köpfe zählenden Nationalversammlung; eine Zweidrittelmehrheit von mindestens 289 Abgeordneten wäre notwendig gewesen. Entscheidend war wieder einmal das Abstimmungsverhalten des Rassemblement National (RN), dessen Anführerin Le Pen »Enthaltung« angeordnet hatte.
Bayrou, am 13. Dezember von Staatschef Emmanuel Macron eingesetzter Premier, hat – wie schon sein Vorgänger Michel Barnier, der neun Tage zuvor vom Parlament gestürzt worden war – keine Regierungsmehrheit. Wie Barnier ist er, will er im Amt bleiben, auf die »Gnade« der rechten Ultras angewiesen. Le Pen hält ihn mit ihrer Sperrminorität von 143 Sitzen am Leben. Oder sie stürzt ihn, wenn die linke Opposition das aus anderen Gründen auch will. Mit der Ernennung der ursprünglich den bürgerlich-rechten, katholischen Les Républicains (LR) entsprungenen Minister Bruno Retailleau (Inneres) und Gérald Darmanin (Justiz) hat Bayrou sich den »sicherheits- und immigrationspolitischen« Forderungen des RN weitgehend angepasst. Retailleau und Darmanin wollen letztlich nichts anderes als Le Pen und ihre Leute. Die regelmäßigen »nicht offiziellen« Treffen mit RN-Parteichef Jordan Bardella sind in Paris längst Legende.
Logisch insofern, dass die RN-Abgeordneten keinen gegen ihre eigene politische Position zielenden Antrag unterstützen wollten. Er hatte – wie Sozialistenchef Olivier Faure schon vorher zugab – keine Chance auf Mehrheit, sondern sei »moralisch« begründet gewesen. Faure: »Wir konnten nicht einfach nichts tun.« Dass der versuchte Regierungssturz immerhin die vier Partner des Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) endlich wieder vereinte und Sozialdemokraten (PS), Ökologen (LE), Kommunisten (PCF) sowie die France Insoumise (LFI) dem PS-Antrag im Block zustimmten, bewerteten die Hauptstadtmedien schon als kleines Wunder.
LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon, der schon dreimal versucht hat, Frankreichs Staatschef zu werden und die aktuelle, »von korrupten Eliten« beherrschte V. Republik durch eine »vom Volk« getragene VI. Republik zu ersetzen sucht, will im Juni 2027 erneut als Präsidentschaftskandidat antreten. Mit dem früheren PS-Generalsekretär und Staatspräsidenten (2012 bis 2017) und inzwischen zum einfachen Abgeordneten abgestiegenen François Hollande verbindet ihn seit November 2008 eine herzliche Feindschaft. Damals hatte Mélenchon den ihm »zu weich« gewordenen PS verlassen und seine erste eigene Partei, den »Parti de Gauche« (Linkspartei) gegründet – mit dem Versprechen, Politik »ohne Konzessionen an die Rechte« zu machen. Ein Versprechen, das ihn und seine engsten Vertrauten in der heutigen LFI antreibt und die für die gesamte linke Wählerschaft des Landes so wichtige Volksfront immer wieder zu sprengen droht.
Die von Mélenchons LFI im Rahmen der Haushaltsdebatte eingereichten Misstrauensanträge – unterstützt nur von den Grünen – trug der PS nicht mit. Hollande, der immer wieder am Stuhl des ihm »zu weit links« handelnden PS-Chefs Faure sägt, trieb die Partei auf die Seite der Regierung, angeblich aus »Verantwortung für das Land«, das einen ordentlichen Haushalt brauche. Mélenchon tobte, nannte Hollande und dessen Gefolgschaft »Verräter« und verkündete »das Ende« der Volksfront. So weit kam es bisher nicht, aber die Ambitionen der beiden Kontrahenten entwickeln nahezu täglich neue Sprengkraft. Während die von Hollande noch undurchsichtig sind, stellt Mélenchon klar, worum es ihm geht: um vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Wenn mit Bayrou der vierte Regierungschef innerhalb eines Jahres falle, müsse Macron zurücktreten.
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