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Aus: Ausgabe vom 22.02.2025, Seite 2 / Inland
Kita-Krise

»Die schlechtesten Personalschlüssel gibt es im Osten«

Die Betreuungssituation in deutschen Kitas bleibt prekär. Erzieherentlastung soll das »Kieler Modell« bringen. Ein Gespräch mit Elke Alsago
Interview: Max Ongsiek
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Eine Betreuerin mit Kita-Kindern in München (17.4.2018)

Angesichts knapper Kassen stellen manche Kommunen Erzieher nicht mehr unbefristet ein. Gelockt werden die Pädagogen aber oft mit dem Versprechen, das jeweilige Arbeitsverhältnis zum Ende natürlich zu entfristen. Statt sich an diese Zusage zu halten, lässt zum Beispiel die Stadt Eberswalde derzeit befristete Verträge einfach auslaufen. Die Begründung: Die Zahl der Kinder nehme ab, man brauche weniger Erzieher. Ist dieses Vorgehen deutschlandweit zu beobachten?

Also wir erkennen bei der Kitafrage eine starke Trennung in Ost und West. Im Westen fehlen immer noch Kitaplätze, gleichzeitig gibt es da einen riesigen Fachkräftemangel. Dort werden Stellen zum Teil mit Nichtpädagogen besetzt. Die Situation in Ostdeutschland ist wiederum regional sehr unterschiedlich. In den Ballungszentren sind die Geburtenzahlen noch stabil, aber je weiter aufs Land man kommt, desto problematischer ist die demographische Entwicklung. Dort werden weniger Kinder geboren, und das schlägt sich jetzt auf die Kitapolitik nieder. Grundsätzlich haben wir in den ostdeutschen Bundesländern die schlechtesten Personalschlüssel in Deutschland. Statt aber endlich die Gruppen- und Fachkraft-Kind-Schlüssel zu verkleinern, dreht man lieber an anderen Schrauben. Damit können befristete Verträge gemeint sein, die Schließung von ganzen Gruppen und Einrichtungen sowie die Entlassung von Kollegen. Durch sogenannte Flexverträge können Erziehern Arbeitsstunden gekürzt oder aufgestockt werden, je nach Bedarf und Kinderzahl. All diese Phänomene sehen wir in den ostdeutschen Bundesländern.

Inwieweit unterscheiden sich denn die Betreuungsschlüssel in West und Ost?

Ich nehme jetzt mal den Kindergartenbereich. In Baden-Württemberg kommt zum Teil ein Erzieher auf sechs Kinder. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen ein Erzieher auf zwölf Kinder. Das ist doppelt so viel! Die Schlüssel in Ostdeutschland sind so schlecht, man muss sie eigentlich als kindeswohlgefährdend bezeichnen. Im Augenblick vergraulen die ostdeutschen Bundesländer so ihre jungen Familien, so dass die dann woanders hingehen und die Region damit noch weiter ausblutet.

Die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat am Dienstag die Umsetzung eines besseren Betreuungsschlüssels – 4,1 Kinder statt 5,1 Kinder pro Erzieher – und Schließtage für Weiterbildungen angekündigt. Was halten Sie von dem Vorstoß der Senatorin?

Das ist auf jeden Fall der richtige Ansatz. Aber da sind ja dann auch kranke Kollegen sowie Kollegen, die Urlaub haben oder zur Fortbildung sind. Das muss man ja alles dann herunterrechnen. Und dadurch kommt man dann auf diese ganz anderen Zahlen. Das ist dann sozusagen faktisch.

Verdi fordert eine Entlastungsvereinbarung zwischen der Gewerkschaft und den landeseigenen Kitabetrieben. Vorbild sind ähnliche Vereinbarungen in anderen Bundesländern – vor allem an der Uniklinik Schleswig-Holstein, bekannt als »Kieler Modell«. Denn wird dort die Mindestbesetzung unterschritten, erhalten alle Mitarbeiter, die im Dienst sind, Anrecht auf bezahlte freie Tage.

Das ist der sogenannte Entlastungstarifvertrag. Der funktioniert gut, weil die Arbeitgeber durch die verpflichtende Schichtuntergrenze angehalten sind, den Personalschlüssel in der Regel einzuhalten.

Wie lässt sich dieser Entlastungstarifvertrag etwa in Berlin durchsetzen?

In Berlin haben wir versucht, einen entsprechenden Tarifvertrag zu verhandeln. Das wurde dann vom Gericht gestoppt. Jetzt überlegen wir, ein Hauptsacheverfahren auf den Weg zu bringen. Trotzdem kann man jetzt schon Druck auf die Politik ausüben. Zum Beispiel kann man als Gewerkschaft auf die Einhaltung der Arbeitsschutzregelungen bei Kitas pochen. Denn meiner Erfahrung nach scheinen gerade Träger von sozialen Einrichtungen das Gefühl zu haben, diese rechtlichen Regeln gelten nicht für sie. Jeder Imbiss wird scharf kontrolliert, soziale Einrichtungen hingegen gar nicht. Darüber hinaus haben wir in Berlin gute Eltern-Unterstützergruppen, die sehr aktiv sind.

Elke Alsago ist Leiterin der Bundesfachgruppe Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit der Gewerkschaft Verdi

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