Gegründet 1947 Dienstag, 4. März 2025, Nr. 53
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 25.02.2025, Seite 2 / Inland
Bundestagswahlen

»Die Friedenstauben sind ›entsorgt‹«

Militarisierung: Was unter einer »schwarz-roten« Koalition droht. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
Interview: Gitta Düperthal
CDU_Chef_fliegt_im_E_82494655.jpg
Ab in den Krieg: CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Cockpit eines »Eurofighters« (Rostock-Laage, 20.6.2024)

Der künftige Kanzler Friedrich Merz von der CDU hat eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Eine Regierung mit der SPD ist aktuell am wahrscheinlichsten. Erwarten Sie unter einer »schwarz-roten« Koalition noch mehr Militarisierung?

Die Aufrüstung nach der Wahl war angekündigt. Im Wahlkampf redete zwar kaum jemand darüber, aber es war klar: Sie wird kommen. Beim Wettbewerb der Prozentzahlen bei Militärausgaben – zwei, 3,5 oder fünf Prozent – wurde ausgespart, was das für unsere Gesellschaft real bedeutet. Es gab durchaus Presseberichte, was zu erwarten ist, wie beim Spiegel unter dem Titel »Der Wehrschwindel«. Das Handelsblatt forderte zum Ausbau des künftigen Militärhaushalts auf, unter anderem auch für atomare Aufrüstung. Jetzt läuft es auf die Koalition mit der SPD hinaus.

Die rüstungswillige Union wäre mit den Grünen »billiger« dran gewesen, hätte weniger aushandeln müssen. Doch auch die SPD hat die Friedenstauben weitgehend »entsorgt«. So gibt etwa Rolf Mützenich jetzt den Fraktionsvorsitz ab. Es ist davon auszugehen, dass die NATO neue Vorgaben für Aufrüstung von etwa drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeben wird. Die EU, mit der Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen, hat eine Umgehung der Defizitkriterien für Mitgliedstaaten mit der sogenannten Ausweichformel vorbereitet. Und: Das Aufrüsten wird mit Kürzungen im Sozialbereich einhergehen.

Personal steht bereit: Boris Pistorius von der SPD würde sich anbieten, sowie auch die Exmilitärs und Unions-Abgeordneten Roderich Kiesewetter oder Johann Wadephul.

Pistorius hat die »verteidigungspolitischen Richtlinien« zu verantworten, mit dem Ziel: »Kriegstüchtigkeit« der gesamten Gesellschaft. Kiesewetter und Wadephul sind ständige Wegbereiter der Aufrüstung. Die Hauptantreiber kommen in die wesentlichen Positionen. Das kann sehr gefährlich werden, weil es kaum mehr relevante Bremsklötze gibt.

Das CDU-Programm verheißt, die Truppenstärke zu erhöhen. Die Union setzt auf ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das eine Musterung beinhalten soll. Was bedeutet das?

Merz hat als zentralen Punkt benannt, dass die Bundeswehr mehr Geld erhalten soll. Er will die sogenannte »aufwachsende Wehrpflicht« einführen. Dabei geht es um eine Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht für alle Geschlechter. Sobald diese angesagt ist, wird es vermutlich leichter, Widerstand zu organisieren – weil es mehr Menschen direkt betrifft.

Obwohl unklar ist, was der US-amerikanische und der russische Präsident in bezug auf die Ukraine verhandeln, will Merz den Marschflugkörper »Taurus« liefern.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wahltaktisch hatte SPD-Kanzler Olaf Scholz diesen Schritt abgelehnt. Das ist jetzt vorbei. Annalena Baerbock von den Grünen hat sich verplappert, dass die Aufrüstung der Ukraine großteils über die EU und deren Mitgliedstaaten laufen soll. Trump will vor allem Zugang zu den seltenen Erden in der Ukraine, woran aber auch die EU Interesse hat. Sobald Waffen wie der »Taurus« an die Ukraine geliefert werden, sind sie im Umlauf. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Militärhistoriker wie Sönke Neitzel schnuppern Morgenluft: Eine deutsche Streitmacht müsse sich von ihrer Doktrin der Beweglichkeit zur Feuerkraft umorientieren. Was ist damit gemeint?

Es wird vorbereitet, einen eigenen Angriffskrieg führen zu können. Neitzel liefert die rhetorische Begleitmusik, um dies in die Gesellschaft so einzuhämmern, dass es keinen allzu großen Widerstand hervorruft. Ziel ist, die Gesellschaft in allen Bereichen zu militarisieren. Bayern hat das Bundeswehrfördergesetz auf den Weg gebracht, im Gesundheitsbereich steht uns einiges bevor.

Wie kann die Friedensbewegung dagegen halten?

Wir sind an dem Punkt, an dem mit Sozialabbau verbundene Aufrüstung konkret angekündigt ist. Rechtsentwicklung geht stets mit Militarisierung und Repression nach innen einher. Friedenskräfte und Linke sind aufgefordert, sich dem entgegenzustellen. Die neu erstarkte Fraktion Die Linke im Bundestag muss Teil unserer Bewegung, mit Protesten und Widerstand dagegen, sein.

Tobias Pflüger ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e. V. und war stellvertretender Parteivorsitzender und verteidigungspolitischer Sprecher der Linke-Fraktion im Bundestag

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (25. Februar 2025 um 19:22 Uhr)
    Herzlichen Dank für die klaren Worte! »Die neu erstarkte Fraktion Die Linke im Bundestag muss Teil unserer Bewegung, mit Protesten und Widerstand dagegen, sein.« Denn das »Aufrüsten wird mit Kürzungen im Sozialbereich einhergehen.« So weit so richtig. Und nicht nur das. Mit dem Ausscheiden von Wagenknecht und Dagdelen werden die Stimmen einer konsequenten Friedenspartei, des BSW, fehlen. Damit aber auch die Stimmen u. a. gegen den Größenwahn des israelischen Zionismus. Wenn linke Wählerinnen und Wähler dennoch nicht dem BSW, sondern mit dem berechtigten Vorbehalt ihrer Asylpolitik, ihre Stimme der PDL gegeben haben, so sollten wir zu bedenken geben, dass der ganze Komplex»Migration«" das Einfallstor für das Nichtbehandeln der wichtigsten Themen im Wahlkampf war! Damit wurden erfolgreich Aufrüstungswahn, schreiende soziale Ungerechtigkeit und die Wirkungen der Klimakatastrophe als zentrale politische Themen ausgehebelt. Auch wenn es nach wie vor eine Binse ist, dass mit Hilfe des repräsentativen Parlamentarismus im Kapitalismus natürlich kein Blumentopf für die Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen ist, so wäre es sicher wünschenswert, dass die PdL »Teil unserer Bewegung« werden würde. Aber wie hieß es schon beim alten Hegel in seiner letzten veröffentlichten Schrift »Über die englische Reformbill«: »Die andere Macht (gegenüber den Gegnern der Reform Bill, MP) würde das Volk sein, und eine Opposition, die (…) im Parlamente der gegenüberstehenden Partei sich nicht gewachsen fühlte, (um) dann statt einer Reform eine Revolution herbeizuführen.« (Allgemeine preußische Staatszeitung, 1831, Nr. 115, 116, 118. Der Schluss durfte nicht in der Staatszeitung veröffentlicht werden, er erschien nur in einem Privatdruck!) Es wird also langsam Zeit, sich von Reformen und Spiegelfechtereien bürgerlicher Parlamente zu verabschieden und eher revolutionären Bestrebungen zu vertrauen. Auf die Barrikaden zu gehen, wie H. Reichinnek von der PdL im Bundestag kürzlich vorschlug, ist wohl etwas zu früh. Aber »alle auf die Straße, rot ist der Mai« (Oktoberklub), wäre nicht schlecht.
  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (25. Februar 2025 um 12:40 Uhr)
    Die Mehrheit der Deutschen hat am 23. Februar mit CDU, AfD, SPD und den Grünen Kriegsparteien gewählt, die unser Land kriegstüchtig machen wollen und dafür Hunderte Milliarden Euro bereitzustellen gedenken, obwohl ihre Anführer bislang keinen Krieg erlebten. Die europäischen NATO-Staaten geben jährlich 427 Milliarden Euro für Rüstung aus. Künftig sollen es gar fünf Prozent des BIP sein. Das wären für Deutschland 220 Milliarden Euro. Russland wendet jährlich 110 Milliarden Euro auf. Eigentlich lässt sich daraus leicht die Frage beantworten, wer bedroht wen? Parteien, die auf Frieden setzen, wie die Die Linke oder das BSW sind nach der Bundestagswahl in der Minderheit. Das BSW hat, wenn auch knapp, den Einzug in den Bundestag verfehlt. Die AfD hat alle sechs Wahlkreise in M-V gewonnen. Seit Jahresbeginn demonstrierten deutschlandweit eine Million Menschen »Gegen rechts«. CDU, AfD und SPD fokussierten, leider erfolgreich, das Thema Migration. Die politische Elite verschweigt in voller Absicht, dass die Kriege mit deutscher Beteiligung, so in Afghanistan, Syrien, Libyen, Menschen in die Flucht trieben. Die Migration spielte eine entscheidende Rolle bei der Wahlentscheidung. Die Wahlen zeigen eindeutig, dass größte Anstrengungen erforderlich sind, künftig Frieden und sozialen Fortschritt in den Mittelpunkt der Anstrengungen aller fortschrittlichen Kräfte zu rücken, um den Kriegsertüchtigern keine Chance zu geben.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • Auf dem Gebiet der Produktion von Kriegsdrohnen ist die Ukraine ...
    24.02.2025

    Ende in Sicht?

    Drei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs fehlen spektakuläre militärische Ergebnisse. Dafür deuten sich auf der politischen Ebene tiefgreifende Veränderungen an
  • Symbolbild
    15.02.2025

    Rüsten, bis es kracht

    »Zeitenwende« zum zweiten: Scholz reagiert auf Trumps Politik und will zwecks Aufrüstung Notlage wegen Ukraine-Krieg erklären lassen

Regio:

Mehr aus: Inland