Kein Herz mit Merz
Von Ralf Wurzbacher
In einer neuen Regierung müsse »das Soziale zur Chefsache« werden, meinte Verena Bentele am Montag. »Mit einem klaren Blick auf die Einnahmenseite, statt immer auf die Ausgaben zu schielen, wird Deutschland für alle besser und die nächste Legislaturperiode ein Erfolg«, befand die Präsidentin des Sozialverbands VdK am Tag nach dem Wahlsieg des Ex-Blackrock-Aufsichtsratschefs Friedrich Merz (CDU). Auch bei Verdi beschwört man das Prinzip Hoffnung: »Ein solider Sozialstaat steht für Vertrauen und Verlässlichkeit und ist das beste Bollwerk gegen Extremismus«, äußerte Gewerkschaftschef Frank Werneke. Ganz oben auf die politische Agenda gehörten deshalb eine »nachhaltige Stabilisierung des Rentenniveaus« und die »Verabschiedung des Bundestariftreuegesetzes«.
Realistischer wirkt die Wunschliste der Wirtschaftsführer: Die kommende, erneut wohl »große« Koalition müsse dafür sorgen, »dass die Arbeitszeitvorgaben freier ausgehandelt werden können«, verbreitete Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf via Bild. So müssten der Achtstundentag durch eine wöchentliche Obergrenze ersetzt, die Altersgrenze bei der Rente abgeschafft und die »Sozialbeiträge unbedingt bei 40 Prozent« gedeckelt werden. »Dafür brauchen wir eine Generalreform wie bei der Agenda 2010.« Für die Abschaffung des Lieferkettengesetzes und eine Halbierung der Berichtspflichten plädierte der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter. Andernfalls fürchte er, dass die »Arbeit aus Deutschland flutscht«, sagte er der Wirtschaftswoche. Darin forderte Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) große Investitionsprogramme. »So könnte die Wirtschaft von einem Verteidigungsboom profitieren – so traurig das auch klingen mag.«
An der Börse in Frankfurt am Main brannten am Montag Rüstungsaktien ein Kursfeuerwerk ab, allen voran Rheinmetall. Sven Weier, Analyst der Schweizer Großbank UBS, skizzierte gegenüber dem Branchendienst Wall Street Online verschiedene Wege, das öffentliche Budget für Kriegsgerät noch weiter auszureizen, etwa durch Notfallklauseln, Umschichtungen oder Steuererhöhungen. Auch die »Wirtschaftsweise« Monika Schnitzer baut auf eine enorme Stärkung der »Verteidigungsfähigkeit« der BRD und »Europas«. Sie rechne damit, dass dafür »ein weiteres Sondervermögen« mittels Zweidrittelmehrheit im Bundestag eingerichtet werde, erklärte Schnitzer gegenüber Reuters. Daneben wünscht sie sich etwa eine verbindliche Verstetigung der Militärausgaben. Das wäre »wichtig, weil sonst Spielräume geschaffen werden, die für Wahlgeschenke genutzt werden könnten, wie zum Beispiel die Fixierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die Erhöhung der Mütterrente und die Senkung der Mehrwertsteuer für Gastronomie und Lebensmittel«.
Fast wie auf Knopfdruck strahlen plötzlich auch deutsche Manager wieder mehr Zuversicht aus. »Es gibt einen klaren Lichtblick: Die Erwartungen der Industrie sind gestiegen«, teilte am Montag Klaus Wohlrabe vom Münchner Ifo-Institut mit Blick auf eine aktuelle Erhebung mit. »Die Talsohle bei den Industrieaufträgen scheint durchschritten zu sein.« Alle Verbände drängen auf eine zügige Regierungsbildung, darunter auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). »Konkret müssen in den Unternehmen spürbare Entlastungen bei Bürokratie und Abgaben ankommen – statt wie zuletzt immer neue Berichtspflichten, Auflagen und Einschränkungen«, verlangte Präsident Peter Adrian. »Alles, was Wachstum und Sicherheit schafft, muss im Mittelpunkt stehen«, verlautete vom Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Peter Leibinger.
Yasmin Fahimi, Vorsitzende des DGB, setzt auf »eine Investitionsoffensive im Eiltempo« sowie »schnelle und pragmatische Lösungen«. Im Zentrum der Modernisierung müssten mehr Mittel für Infrastruktur, Digitalisierung, Energieversorgung und industrielle Zukunftstechnologien stehen, nahm sie am Montag Stellung. »Die Krise darf nicht als Vorwand genutzt werden, um Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.« Auch das klingt wie das Pfeifen im Walde.
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