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Aus: Ausgabe vom 03.03.2025, Seite 8 / Ausland
Warum Arbeiter rechts wählen

»Die FPÖ ist dort stark, wo es kaum Migration gibt«

Österreich vor Regierungsbildung: Warum Arbeiter rechts wählen. Ein Gespräch mit Mario Rossmann
Interview: Alieren Renkliöz
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Die rechte FPÖ wird als stärkste Kraft wohl trotzdem in der Opposition landen (Vösendorf, 18.1.2025)

Die neue österreichische Regierung wird nun doch von ÖVP, SPÖ und Neos gebildet. SPÖ-Chef Andreas Babler trat mit einem linken Programm an, aber Arbeiterinnen und Arbeiter sprach das nicht an. Statt dessen gewann die SPÖ Stimmen von den Grünen. Wie kam es dazu?

Babler ist kein Identitätspolitiker. Aber linke Parteien stehen wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch teilweise links ihrer traditionellen Wählerschaft. Das hat lange Zeit trotzdem funktioniert, zum Beispiel bei der Linkspartei in Ostdeutschland. Es gibt eine schweigende Mehrheit, die links-kommunitaristische Einstellungen hat. Diese Wähler stehen wirtschaftspolitisch links der Mitte, sind aber in gesellschaftspolitischen Fragen eher konservativ.

Wie erklären Sie sich, dass es der FPÖ gelingt, sich als Partei der Arbeiter zu etablieren?

Die neoliberale Erzählung, dass die Tüchtigen und Fleißigen von den Sozialschmarotzern ausgenutzt würden, erreicht die Leute. Die FPÖ bezeichnet sich als soziale Heimatpartei. Es sind Erwerbstätige, die vermehrt »blau« wählen. Neben Menschen, die angeben, von ihrem Einkommen nicht gut leben zu können, sind in der Steiermark zum Beispiel auch viele Reihenhausbesitzerinnen unter den FPÖ-Wählern. Sie merken, dass die Kosten steigen, und jetzt haben sie Angst, trotz ihrer Vollzeitarbeit ihr Haus zu verlieren.

Wo verzeichnet die Rechtsaußenpartei besonderen Erfolg?

Die FPÖ ist in strukturschwachen Regionen stark, also dort, wo sich das alltägliche Leben für die Menschen verschlechtert: Supermärkte schließen, und Ärzte wandern ab. Da sagen mir die Leute sinngemäß: Ich habe in meinem kleinen Dorf überhaupt nichts mehr, was ich dort erledigen kann, und dann kommen noch Linksliberale und erzählen mir, ich darf nicht mit dem Auto in den nächsten Ort fahren. Auch wenn die Abwanderung von Ärzten nichts mit Migration zu tun hat, hat die FPÖ ihre stärksten Ergebnisse dort, wo es kaum Migration gibt. Es geht vor allem um die Angst vor dem, was kommen könnte. Die Angst wird durch Medienberichte über Straftaten von Migranten, zum Beispiel in Wien, verstärkt. Viele FPÖ-Wähler aus ländlichen Regionen glauben, dass in Wien Chaos herrscht.

Was ist also das wichtigste Thema für FPÖ-Wähler: Ökonomie oder Migration?

In Gesprächen kommt das Thema Mi­gration als erstes. Der Soziologe Ulrich Beck beschrieb die europäische Gesellschaft einmal als »Risikogesellschaft«, wo alle in einem Aufzug nach oben fahren. Heute ist das anders. Personen stehen Schlange für den gesellschaftlichen Aufstieg und sehen aus ihrer Sicht, wie sich Migrantinnen und Migranten vordrängeln. Ein FPÖ-Wähler sagte mir einmal: »Die Migranten werden unterstützt, und unsere jungen Familien finden keine guten Wohnungen mehr und müssen in Kellerlöchern leben.« Das ist selbstverständlich nicht richtig, aber diese Erzählung ist im Umlauf und hat den politischen Rechten zu Wahlerfolgen verholfen.

Geholfen hat den Rechten offenbar auch das staatliche Agieren während der Coronapandemie. Wieso profitierten sie davon?

Die österreichische Regierung hat während der Pandemie einige Fehler gemacht. Der Lockdown für Ungeimpfte und der »Grüne Pass« für Restaurantbesuche haben Kränkungen in Teilen der Bevölkerung hinterlassen. FPÖ-Chef Herbert Kickl stellte sich radikal auf die Seite der Maßnahmengegner. Aus dieser Rolle als Fundamentalopposition hat die Partei politisches Kapital geschlagen. Es kommt noch hinzu, dass sie mittlerweile von Frauen ähnlich häufig gewählt wird wie von Männern.

Welche Themen entscheiden Wahlen?

Früher war es vor allem die ökonomische Achse. Heute ist die soziokulturelle mindestens genau so entscheidend: Themen wie Umwelt, Migration und Identitätspolitik. Hier sehen die Wähler die Grünen als »linke« Partei. Ein Interviewpartner meinte einmal zu mir, die KPÖ sei wählbar, da sie weniger links sei als die Grünen. Hier hat das Bündnis Sahra Wagenknecht in Deutschland möglicherweise eine Marktlücke erkannt.

Mario Rossmann ist Wahlforscher und wissenschaftlicher Assistent an der Universität Graz. Er befasst sich unter anderem mit Wechselwählern zwischen KPÖ und FPÖ

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