»Jetzt ist die Türkei am Zug«
Interview: Annuschka Eckhardt
Abdullah Öcalan, der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, hat am Donnerstag seine Organisation zur Einstellung des bewaffneten Kampfes und zur Selbstauflösung aufgerufen. Was denken Sie über die Bereitschaft zum Dialog und zu einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage?
Seit mehr als 40 Jahren wird dieser Krieg geführt. Bislang wurde immer versucht, das Problem militärisch zu lösen. Trotz zahlreicher Friedensbemühungen von kurdischer Seite verschärften sich die militärischen Auseinandersetzungen in den vergangenen zehn Jahren. Die Türkei nutzt alle ihre Möglichkeiten, um gegen die kurdische Bewegung vorzugehen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ kurdische Aktivistinnen und Aktivisten willkürlich festnehmen, setzte gewählte kurdische Bürgermeister ab, nutzte schwere Waffen, bis hin zu Bombardierungen, grenzübergreifenden Operationen und auch chemischen Waffen. Nun soll ein Weg des Friedens und der Demokratisierung folgen.
Die PKK selbst hatte in der Vergangenheit immer wieder ihre grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft erklärt. Wie ernst nehmen Sie den Aufruf, solange Öcalan sich in Gefangenschaft befindet?
Nach dieser Erklärung ist jetzt die Türkei selber am Zug. Sie muss agieren. Doch bislang ist uns nicht bekannt, was mit der türkischen Regierung vereinbart wurde.
Was bedeutet das für die kurdische Bewegung?
Die Türkei muss bereit sein, Zugeständnisse für Minderheiten zu machen. Es geht ja nicht nur um Kurdinnen und Kurden, es leben auch andere Minderheiten in der Türkei, die in ihrer Kultur oder ihrer Religion eingeschränkt werden. Wir fordern die Anerkennung der kurdischen Identität und kulturellen Freiheit. Sie müssen ihre Muttersprache sprechen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, dass man terrorisiert, kriminalisiert und ausgegrenzt wird.
Was bedeutet das für den nationalen Befreiungskampf der Kurden außerhalb des türkischen Staatsgebietes?
Die Delegierten führten Gespräche auch mit den anderen kurdischen Organisationen und Parteien in ganz Kurdistan. Wir kennen allerdings die genauen Inhalte nicht. Die Türkei führte eine harte Assimilations- und Unterdrückungspolitik gegen Kurdinnen und Kurden, auch über ihre Staatsgrenzen hinweg. Die Türkei bekämpfte die kurdische Bewegung auf irakischem Gebiet, auch mit international geächteten Mitteln wie Chemiewaffen. In Nordostsyrien führt Ankara unter anderem einen feigen Drohnenkrieg, dem immer wieder auch gezielt Frauen in wichtigen Positionen zum Opfer fallen. Wir hoffen inständig, dass der neu beschlossene Weg auch mehr Stabilität für die anderen Teile Kurdistans bringt.
Der Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte, Mazlum Abdî, sagte am Freitag, durch einen Friedensprozess könnte die Demokratisierung der Türkei schneller voranschreiten. »Die Beziehung zwischen der PKK und der Türkei sowie die Schaffung von Frieden werden sich auch auf unsere Region auswirken«, so Abdî. Wie bewerten Sie das angesichts der islamistischen Söldner in Syrien, die von Ankara unterstützt werden?
Die Türkei hat die PKK immer als Vorwand genommen, gegen andere kurdische Bewegungen, wie in Rojava, vorzugehen. Erdoğan begründete grenzübergreifende Operationen mit dem Schutz der »inneren Sicherheit«. Seine NATO-Partner ließen dies zu. Wir hoffen, dass der neue Weg Ruhe und Stabilität in die Region bringen wird. Trotzdem muss die Verwaltung in Nordostsyrien selber für sich Entscheidungen treffen, wie es sich in Syrien darstellen wird und wie die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung aussehen wird oder auch nicht.
Trotz der Entwicklungen in Ankara hält das deutsche Innenministerium unverändert an der Einstufung der PKK als »Terrororganisation« fest.
In der BRD leiden wir seit über 30 Jahren unter dem Betätigungsverbot der PKK. Wir haben hier erlebt, wie Menschen ausgegrenzt und kriminalisiert werden, weil sie sich organisieren, weil sie Vereinsmitglieder sind oder weil sie an Demonstrationen teilnehmen. Eine Schikane, die wohl so fortgeführt wird. Wir fordern ein Umdenken der Bundesregierung.
Ayten Kaplan ist Sprecherin des Verbandes kurdischer Frauen in Deutschland
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