Glänzen ohne zu schuften
Von Andreas Schäfler
Fünf Jahre ist es her seit Holly Coles »Montreal«-Album, einem betörenden Livemitschnitt aus dem dortigen Club Le Lion d’Or mit der beschämenden Spieldauer von gerade mal 29 Minuten. Nun hat die kanadische Sängerin endlich nachgelegt, im Studio zwar, aber auf »Dark Moon« fanden immerhin elf Lieder Platz – und zwar eher selten gespielte Standards aus dem Pop-, dem Country- und dem Jazzregal. Mit Irving Berlins »Steppin’ Out with My Baby« geht es los, wo sich im tiefen Register Stimme und gestrichener Bass auf einem dichten E-Piano-Vibraphon-Teppich räkeln. Ähnlich verführerisch begann auch schon Rickie Lee Jones’ letztes Album »Pieces of Treasure«, produziert vom Altmeister Russ Titelman – der wiederum Holly Coles vorletzte Platte pilotiert hatte.
Diesmal hält sie alle Fäden selbst in der Hand und hat für das neue Programm ihr bewährtes Trio mit Aaron Davis (Klavier), George Koller (Bass) und Davide DiRenzo (Schlagzeug) einberufen. Gastbeiträge steuern je zweimal der fantastische Harmonikaspieler Howard Levy (von Béla Flecks The Flecktones) und Michael Davidson am Vibraphon bei, einmal der Saxofonist John Johnson sowie auf dem Titelstück die drei Grazien des Nashville-Chors Good Lovelies. Und auch Tausendsassa Kevin Breit ist wieder dabei und gibt seine unnachahmlichen Gitarrenkunststücke.
Die bald 60jährige Sängerin hat den gesammelten Hymnen auf den Erdtrabanten nicht nur federleichte Arrangements verpasst, sie phrasiert auch absolut geschmackssicher. Die steten Verwandlungen von der Lady in den Vamp, von der Göre in die Diseuse, so wie der jeweilige Song es gerade erfordert, sind Holly Coles Spezialität und gelingen ihr auch auf »Dark Moon« mühelos. Zwei-, dreimal lässt sie ihre ausgereifte Stimme auch unverschämt rau übers Parkett schleifen, solche Nuancierungen bleiben von den Instrumentalisten nie unbeantwortet: Aaron Davis jubelt seinem distinguierten Pianospiel ein paar freche Blue Notes unter, George Koller lässt dann und wann die Basssaiten knallen, und Kevin Breit setzt flirrende Slide-Signaturen.
Dingfest gemacht sind so gemäß Holly Cole »die Momente, in denen wir entdecken, was wir an diesen Songs lieben und was für mich ihre Essenz ist« – beispielhaft etwa in Marty Balins »Comin’ Back to Me«, das man noch von Jefferson Airplanes »Surrealistic Pillow« kennen kann und das auch schon von Rickie Lee Jones gecovert wurde. Vor gut 20 Jahren hatte sich Cole auf »Temptation« noch ein ganzes Album lang unerschrocken an Tom-Waits-Songs abgearbeitet. Inzwischen verfügt sie über die Souveränität der allerbesten Jahre, ohne je wertkonservativ rüberzukommen, und plündert nach Herzenslust das unerschöpfliche Great American Songbook.
Was das explizit mondsüchtige Repertoire des neuen Albums ihrer Stimme abverlangt, setzt Holly Cole so mustergültig wie ihre ganz großen Vorgängerinnen um, aber bei allem Respekt auch so unbefangen, dass man selbst bei einem Klassiker wie »Moon River« (von Henry Mancini für Audrey Hepburn in »Frühstück bei Tiffany« geschrieben) nicht in Ehrfurcht erstarrt. Man könnte Holly Cole vermutlich einen x-beliebigen Song vorwerfen, und sie würde noch aus dem simpelsten Lied eine Delikatesse zaubern. Als Beleg kann hier der Rausschmeißer »Johnny Guitar« dienen, die Kennmelodie aus dem gleichnamigen Kultwestern, dargeboten in einem innigen Duett mit Kevin Breit. Diese Sängerin glänzt, ohne groß dafür schuften zu müssen.
Holly Cole: »Dark Moon« (Rumpus Room/Universal)
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