Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 5. März 2025, Nr. 54
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 05.03.2025, Seite 6 / Ausland
Iran

Es kriselt in Teheran

Iran: Parlament stürzt Wirtschaftsminister, Verhandlungsakrobat Sarif tritt zurück. Präsident Peseschkian zunehmend unter Druck
Von Knut Mellenthin
6.JPG
Hier jubelten Vizepräsident Sarif (l.) und Peseschkian noch gemeinsam (Teheran, 19.6.2024)

In der iranischen Regierung sind am Sonntag zwei zentrale Positionen vakant geworden. Nach einer längeren Debatte sprach das Parlament dem Wirtschafts- und Finanzminister Abdolnaser Hemmati mit 182 gegen 89 Stimmen das Misstrauen aus. Am selben Tag erklärte der für »strategische Fragen« zuständige Vizeaußenminister Mohammed Dschawad Sarif seinen Rücktritt.

Damit steht der als »Reformpolitiker« angetretene Präsident Massud Peseschkian möglicherweise am Beginn einer umfassenden Konfrontation mit der Parlamentsmehrheit aus innenpolitischen Konservativen und außenpolitischen »Hardlinern«. Diese Entwicklung war angesichts der Konstellation zu erwarten. Es war eine Überraschung, dass das Parlament im August vorigen Jahres allen 19 von Peseschkian nominierten Kabinettsmitgliedern das Vertrauen aussprach. Zuzuschreiben war das in erster Linie dem Einfluss des »Revolutionsführers« Ali Khamenei, dem laut Verfassung die oberste religiöse und politische Autorität zukommt. Er schien einer gemäßigten Veränderung der Islamischen Republik, sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch, eine Chance geben zu wollen. Ob sich daran etwas geändert hat, ist bisher unklar.

Hemmati hatte schon bei der Bestätigung des Kabinetts durch das Parlament eine der niedrigsten Zustimmungszahlen bekommen. Als ehemaliger Direktor der Zentralbank (2018–2021) und Mitglied einer »reformistischen« Partei war er als Kritiker der staatlichen Wirtschaftspolitik aufgefallen. Die Parlamentsmehrheit macht ihn jetzt für die enormen Probleme im Leben der Bevölkerung, insbesondere verursacht durch den Anstieg der Lebensmittelpreise und die allgemein hohe Inflation, verantwortlich. Der sich seit vielen Jahren verschlechternde internationale Wechselkurs der Landeswährung Iranischer Rial ist seit Peseschkians Amtsantritt Ende Juli 2024 nochmals drastisch gefallen: Mitte vorigen Jahres entsprach ein US-Dollar rund 580.000 Rial, zur Zeit der Präsidentenwahl in den USA Anfang November waren es schon 690.000, und gegenwärtig sind es 920.000. Entsprechend verteuern sich Irans Einfuhren.

Vor der Parlamentsabstimmung am Sonntag sprachen Peseschkian, Hemmati und je ein Befürworter und ein Gegner des Misstrauensantrags. Der Präsident verteidigte den Minister und wies darauf hin, dass sich Iran in einem Wirtschaftskrieg befinde, der von den Feinden des Landes, vor allem den USA, erklärt worden sei. Schuldzuweisungen an einzelne Personen würden bei der Lösung der riesigen Probleme nicht helfen. Nötig seien, das war schon Peseschkians Motto beim Amtsantritt, »Einheit und Zusammenhalt«.

Sarifs Rücktritt als wichtigster der insgesamt 14 Vizepräsidenten ist, vordergründig betrachtet, aufgrund der Rechtslage zwingend: Ein 2022 in Kraft getretenes Gesetz schreibt vor, dass niemand ein »sensibles« Amt innehaben darf, der eine zweite Staatsbürgerschaft besitzt oder in seiner unmittelbaren Verwandtschaft Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft hat. Beide Kinder Sarifs, der jahrelang in den USA gelebt hat, besitzen durch Geburt die dortige Staatsbürgerschaft. Die Frage ist, da der Sachverhalt offensichtlich ist, warum Sarif überhaupt auf diesen Posten gelangen konnte. Auch das könnte an der Protektion durch Khamenei gelegen haben. Er schätzt den »weltgewandten« Diplomaten, der von 2013 bis 2021 als Außenminister fungierte und maßgeblich am Zustandekommen des Wiener Abkommens vom Juli 2015 beteiligt war. Auch in diesem Fall stellt sich die im Moment noch nicht zu beantwortende Frage, ob Sarif diese Protektion verloren hat oder ob sie schwächer geworden ist.

Die tieferliegenden Gründe für Sarifs Rücktritt könnten mit seinen Vorstellungen und seinem Stil als Außenpolitiker zu tun haben. Ihm ist ohne weiteres zuzutrauen, dass er gern mit dem US-Präsidenten und dessen Team in Verhandlungen treten würde, wie er es schon in Donald Trumps erster Amtszeit getan hatte. Das aber ist, nach einer deutlichen Meinungsäußerung Khameneis am 7. Februar, ausgeschlossen, solange Trump an seiner »Strategie des maximalen Drucks« festhält.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Irans Präsident Massud Peseschkian (am Mikrofon) besucht das ein...
    01.03.2025

    Sanktionen statt Dialog

    USA erhöhen mit neuen Zwangsmaßnahmen Druck auf Iran. Russland könnte als Vermittler fungieren
  • Schon lange im Visier Israels: »Irans geheime Atomanlage« (Jerus...
    14.02.2025

    Nachdenken über Angriff auf Iran

    Geheimdienste deuten laut US-Medien auf zeitnahen Schlag Israels gegen Atomanlagen. Offen bleibt, wie Washington sich daran beteiligt
  • Irans »oberster Führer« Ajatollah Ali Khamenei (Teheran, 8.2.202...
    10.02.2025

    Nur eine Meinung

    Khamenei zu Verhandlungen mit USA

Regio:

Mehr aus: Ausland