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Aus: Ausgabe vom 12.03.2025, Seite 8 / Ausland
»Budapest-Komplex«

»Maja T. wurde an einer Leine im Saal vorgeführt«

Prozess gegen Antifaschistin in Ungarn begonnen. Justiz fordert hohe Haftstrafe. Ein Gespräch mit Sven Richwin
Interview: Silke Makowski
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»Selbstbestimmt und kämpferisch gegen ihre Repression«: Solidaritätskundgebung in Jena für Maja T. (25.1.2025)

Maja T. wurde im Juni 2024 rechtswidrig aus sächsischer Haft nach Ungarn ausgeliefert und steht dort seit Donnerstag vor Gericht. Wie verlief der Prozessauftakt?

Vergangene Woche ist eine erste Beweisaufnahme erfolgt. Maja wurde in Ketten, einem Bauchgurt und an einer Leine im Saal vorgeführt, eskortiert von vermummten Beamten einer Spezialeinheit. Der politische Hintergrund der Belastungszeugen in der Verhandlung wurde gänzlich ausgeblendet.

Wohnten viele Gleichgesinnte dem Termin bei?

Insgesamt gab es eine starke Neonazipräsenz vor dem Gericht und in der Verhandlung. Anwesend war beispielsweise auch György Budaházy, ein bekannter ungarischer Rechtsterrorist, verurteilt wegen mehrerer Brandanschläge, der von der ungarischen Regierung 2023 begnadigt wurde.

Maja T.s Vorführung in Ketten und an einer Leine zielte vermutlich darauf, T. als äußerst gefährlich zu inszenieren. Wie lauten die Vorwürfe?

Maja wird vorgeworfen, Anfang Februar 2023 als Teil einer kriminellen Vereinigung an Angriffen auf mutmaßliche Neonazis in Budapest am Rande des sogenannten Tags der Ehre, einem europaweiten Neonazitreffen, beteiligt gewesen zu sein.

Maja T.s Haftbedingungen werden als menschenunwürdig geschildert. Das soll andere Verdächtige einschüchtern. Wie sehr werden der anwaltliche Beistand und die Prozessvorbereitung durch die ungarischen Behörden eingeschränkt?

Maja befindet sich fortgesetzt in Isolationshaft unter widrigen Umständen hinsichtlich Hygiene und Versorgung. Das ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, der nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar dieses Jahres mit jedem Tag fortwirkt. Obwohl die Beweisaufnahme bereits begonnen hat, sind weiterhin wichtige Teile der Akte nicht ins Deutsche übersetzt worden. Das Gericht will jetzt irritierenderweise immer so weit verhandeln, wie die Übersetzungen vorliegen. Mehrere tausend Seiten wurden erst am Tag vor dem ersten Anhörungstermin übergeben. Maja erhielt zudem DVDs mit Videoaufnahmen, aber kein Abspielgerät.

Das Bundesverfassungsgericht hatte Maja T.s Auslieferung für rechtswidrig erklärt und verlangt, dass diese rückgängig gemacht wird. Muss die Bundesregierung da nicht konkrete Schritte ergreifen?

Auf Maja selbst hat der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts leider keine unmittelbare Auswirkung, weil eine Vollstreckung deutscher Beschlüsse in Ungarn nicht möglich ist. Für die anderen Verfahren im »Budapest-Komplex« zeichnet sich ab, dass damit weitere Auslieferungen verhindert wurden. Die Verfahren sollen nun in der BRD geführt werden. Der Prozess gegen Hanna S. in München läuft bereits. Speziell ist das Verfahren gegen Zaid, einen Beschuldigten mit syrischer Staatsbürgerschaft. Hier besteht aktuell kein deutscher Haftbefehl. Der Schutz vor unmenschlicher Behandlung und Folter darf jedoch nicht an die Staatsangehörigkeit gekoppelt werden.

In der Vorverhandlung am 21. Februar gab es ein Angebot der Justiz.

Die Staatsanwaltschaft hat Maja angeboten, bei einem völligen Verzicht auf Verteidigungsmöglichkeiten und pauschalem Geständnis eine Strafe von 14 Jahren »unter verschärften Bedingungen« anzunehmen. Im Verfahren beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, eine deutlich höhere Strafe zu beantragen: Möglich sind bis zu 24 Jahre Haft. Maja ist diesem »Angebot« mit einer politischen Erklärung entgegengetreten.

Wie geht der Prozess jetzt weiter?

Das Verfahren soll mit demjenigen gegen Gabriele aus Italien zusammengelegt werden. Diesbezüglich soll »in Abwesenheit« verhandelt werden, da das Gericht in Mailand eine Auslieferung abgelehnt hat. Auch eine Zusammenlegung mit dem Verfahren gegen Ilaria Salis ist geplant, sofern ihre Immunität als Abgeordnete im Europäischen Parlament aufgehoben werden sollte. Die nächsten Fortsetzungstermine sind im Juni. Es zeichnet sich ab, dass dabei den von deutschen Behörden ausgewerteten Überwachungsvideos eine zentrale Bedeutung zukommen wird. Eine Identifikation soll vor allem über eine mutmaßlich vergleichbare Bekleidung erfolgen.

Sven Richwin ist Rechtsanwalt in Berlin und vertritt Maja T.

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