Mordprozess gegen Antifaschistin
Von Henning von Stoltzenberg
Vor dem Oberlandesgericht München hat am Mittwoch der Prozess gegen die Antifaschistin Hanna S. begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft der 30jährigen unter anderem versuchten Mord vor. Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit Angriffen auf militante Neonazis während des »Tags der Ehre« im Februar 2023 in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Das jährlich stattfindende internationale Neonazigroßereignis ist ein öffentliches Vernetzungstreffen mit anschließender Wanderung, auf der die Faschisten von den Behörden ungehindert SS-Uniformen tragen und Nazisymbole zur Schau stellen. S. soll sich laut Anklage vor dem Angriff einer Gruppe angeschlossen haben, deren Mitglieder mindestens fünf Attacken auf mutmaßliche Teilnehmer verübt hätten.
Gemeinsam mit anderen Gruppenmitgliedern soll sich S. demnach an zwei Überfällen auf insgesamt drei Menschen im öffentlichen Raum beteiligt haben. Die Opfer sollen Kopfverletzungen davongetragen haben. S. war im Mai 2024 in Nürnberg festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe gegen sie lauten, außer auf versuchten Mord, auf gefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Für das Verfahren wurden zunächst 24 Verhandlungstermine bis Ende Juni angesetzt.
Beim Auftakt am Mittwoch wurde zu Beginn die Anklageschrift verlesen. Die beiden Verteidiger Yunus Ziyal und Peer Stolle gaben ebenfalls Erklärungen ab. Ziyal beschrieb den Charakter des »Tags der Ehre«, während Stolle die Verlegung des Prozesses in den unterirdischen »Hochsicherheitssaal« in Stadelheim kritisierte. Die Teilnahme am Prozesstermin war mit einer Durchsuchung verbunden, Taschen mussten abgegeben werden. Dadurch verzögerte sich der Beginn der Verhandlung um einige Zeit.
Laut Ziyal entbehrt die Anklage jeglicher Grundlage, der Vorwurf des versuchten Mordes sei unhaltbar. Aus diesem Grund habe der Bundesgerichtshof bereits den dringenden Tatverdacht eines versuchten Mordes abgelehnt, erklärte der Verteidiger. »Dass der Generalbundesanwalt an diesem Vorwurf festhält, zeigt, dass es ihm vorwiegend um die Dämonisierung unserer Mandantin geht«, lässt sich Ziyal zitieren. Auch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ergebe sich aus dem »dürren Aktenmaterial« nicht.
Als »an den Haaren herbeigezogen« bezeichnete auch Anja Sommerfeld, Sprecherin der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e. V., den Vorwurf des versuchten Mordes. Der »Budapest-Komplex« sei ein Paradebeispiel für die ungeheure politische Verfolgung von Nazigegnern, die inzwischen grenzüberschreitend stattfinde. Alex Schmidt, Sprecher des »Solikreises Nürnberg«, zeigte sich im Gespräch mit jW am Mittwoch erfreut darüber, dass trotz der Hochsicherheitsbestimmungen rund 150 Personen im Anschluss an die Solidaritätskundgebung den Prozess beobachtet hätten und wertete dies als starkes Zeichen der Solidarität.
Das juristische Konstrukt der Bundesanwaltschaft sieht S. in der »Kontinuität« einer antifaschistischen Gruppe um Lina E., die in Deutschland Angriffe auf Neonazis verübt hatte. E. wurde im Mai 2023 wegen Mitgliedschaft und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie gefährlicher Körperverletzung vom Oberlandesgericht Dresden zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Derzeit prüft der Bundesgerichtshof dieses Urteil, eine Entscheidung soll im März verkündet werden.
Im Zusammenhang mit dem »Budapest-Komplex« hatten sich am 20. Januar sieben tatverdächtige Antifaschisten gestellt. Die 21 bis 27 Jahre alten Verdächtigen fordern, ein Verfahren in der BRD zu bekommen und der Auslieferung nach Ungarn zu entgehen, da ihnen dort über 20 Jahre Haft drohen. Mahnendes Beispiel ist Maja T. Im Juni war T. in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch die sächsische Polizei aus der Dresdner JVA nach Ungarn ausgeliefert worden und befindet sich seitdem unter katastrophalen Zuständen in Untersuchungshaft. Das Bundesverfassungsgericht untersagte damals eine Überstellung per Eilentscheidung, die Auslieferung fand dennoch statt. Das höchste deutsche Gericht erklärte sie kürzlich für rechtswidrig.
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