»Vor der eigenen Haustür stört Kultur plötzlich«
Interview: Gitta Düperthal
Die Kulturkneipe »Watt« im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist von der Schließung bedroht. Im Dezember 2024 teilten die Hauseigentümer Anne Ameri-Siemens und Many Ameri über ihre Hausverwaltung mit: Der am 30. September 2025 auslaufende Vertrag werde nicht verlängert. Was sind die Gründe dafür?
Auf meine Nachfrage erhielt ich bisher keine Antwort. Sie müssen es ja auch nicht begründen und können den Vertrag einfach nicht verlängern. Es ist ihr Privileg, diese so lang bestehende Kulturkneipe schließen zu können. Zunächst gab es bei einem Treffen eine vermeintliche Verhandlungsbasis: eine Verdreifachung der Miete. Doch ehe ich zu verhandeln beginnen konnte, wurde mir der Bescheid in die Hand gedrückt. Dabei heißt es doch: Eigentum verpflichtet. Die Eigentümer unserer Kulturkneipe sind Teil eines demokratischen Prozesses. Es kann nicht sein, dass sie nicht mit uns ins Gespräch gehen wollen. Sie tragen gesellschaftliche Verantwortung.
Wie lief Ihr Geschäft zuletzt?
Die Kneipe läuft gut. Wir sind solvent, hatten keine Mietschulden. Sieben Mitarbeiter arbeiten hier. Wir finanzieren sogar teilweise auch Musiker. Ansonsten geht der Hut herum. Künstler finden hier ihr Publikum.
Laut Ihrer Mitteilung hatten sich die Eigentümer die Förderung von Kunst und Kultur auf die Fahne geschrieben.
Die Eigentümer haben die »Red Bull Music Academy« mitgegründet. Auf der Webseite ihrer Agentur Yadastar ist von der Förderung von »Graswurzel-Netzwerken und realen Begegnungen« die Rede. Man verfolge »einen ganzheitlichen Ansatz«, heißt es. Vor der eigenen Haustür aber stört die Kultur offenbar, ist plötzlich unsexy. Vermutlich geht es nur ums Geld.
In Ihrer Mitteilung heißt es, es werde »der Schlussstrich unter die renitente Kunst- und Kulturgeschichte im ehemaligen Arbeiterbezirk« gezogen. Warum ist die Kneipe für den Bezirk Prenzlauer Berg so bedeutsam?
Unsere Kneipe war über Jahrzehnte Knotenpunkt und Umschlagplatz der Unangepasstheit. Hier trifft sich ein generationsübergreifendes Publikum. Es zeigt sich immer wieder: Proletarier und Künstler haben sich viel zu sagen. Da sitzt der Elektriker mit dem Philosophen am gleichen Tresen. Und der Schritt von der Bühne zum Tresen ist klein. Renommierte Künstler wie Meret Becker, Alexander Scheer oder der Jazzmusiker Conny Bauer hatten hier Auftritte. Es gab Lesungen von Schriftstellern wie Ann Cotten und Volker Braun. Die Kneipe bietet Raum für Ausstellungen, Theaterpremieren und kulturelle Initiativen. Es sind eben nicht nur zwei einsame Barfliegen, die das abrupt herbeigeführte Ende schade finden.
Welche Geschichte hat dieser Ort?
Die Räume beherbergten bis 2010 die »Bar Diller«, benannt nach dem Maler und Grafiker Michael Diller, eine prägende Figur für die Kunstszene des Prenzlauer Bergs mit Strahlkraft. Dann eröffneten der Schriftsteller, Punk und Anarchist Bert Papenfuß und die Künstlerin Mareile Fellien mit der »Rumbalotte continua« die Vorgängerinstitution des »Watt«. Der 2023 verstorbene Papenfuß entstammte der Undergroundszene des alten Ostberlins. Er vertrat die These, Demokratie sei schlicht »nicht möglich auf der Basis von Privateigentum«. Danach übernahm ich die Kneipe, und jetzt scheint sich seine Befürchtung leider zu bewahrheiten.
Wie wollen Sie jetzt weitermachen?
Das »Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« aus engagierten jungen Menschen organisiert Gegenwehr. Sie nutzen ihre Kanäle, um das durch unseren Rausschmiss drohende Ende unserer Kneipe publik zu machen. Es ist nicht der einzige Kulturort, der weichen muss. Die Gentrifizierung im Bezirk Prenzlauer Berg schreitet fort. Wir werden uns unseren liebgewonnenen Kulturraum und Erholungsort nicht nehmen lassen.
Sindy Kliche ist Wirtin und Betreiberin der Berliner Kulturkneipe »Watt«
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