Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 18.03.2025, Seite 4 / Inland
Kriegskredite

Manöver vor Gericht

Aufrüstungsorgie: Vor Bundestagsabstimmungen bemühen weitere Abgeordnete Karlsruhe
Von Kristian Stemmler
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Noch nichts geklärt: Die Gegner der Neuverschuldung für Aufrüstung hoffen auf die Karlsruher Richter

Mit ihrer Zweidrittelmehrheit im »alten« Bundestag wollen Unionsparteien, SPD und Bündnis 90/Die Grünen am Dienstag eine Änderung des Grundgesetzes beschließen und ein Sondervermögen für Infrastrukturaufgaben auf den Weg bringen. Am Montag dauerten die Bemühungen an, die Abstimmung über die »Reform« der Schuldenbremse doch noch zu verhindern. So versuchten mehrere Abgeordnete – die parteilose Joana Cotar (früher AfD), drei FDP- sowie AfD-Abgeordnete –, per Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verschiebung der Sondersitzung zu erreichen. Eine Entscheidung stand bei jW-Redaktionsschluss noch aus.

Politisch richten sich diese Vorstöße nicht gegen die Aufrüstung, sondern gegen das »Schuldenmachen«. Die FDP-Abgeordneten argumentieren, dass die Beratungszeit für das geplante Schuldenpaket nicht ausreiche. Die Bundesregierung habe »ganz einfache und grundlegende Nachfragen« zu dem Thema bisher nicht beantworten können, erklärte der FDP-Abgeordnete Florian Toncar. Verfassungswidrig sei vor allem, dass nur drei Tage vor der endgültigen Abstimmung weitere gravierende Änderungen vorgelegt worden seien, etwa eine Regelung zur Klimaneutralität bis 2045. Das lasse sich »in der kurzen Zeitspanne nicht seriös diskutieren und abwägen«, so Toncar.

Die Verfassungsrichter hatten am Freitag bereits mehrere Anträge verworfen. Einige zielten darauf ab, die Sondersitzung des »alten« Bundestages am Dienstag abzusagen. Keiner der Anträge hatte Erfolg. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht appellierte am Montag an die Linkspartei, die Abstimmung über »das größte Schulden- und Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik« noch zu verhindern. Dazu müsse die Linke lediglich zusammen mit den AfD-Abgeordneten die Einberufung des neuen Bundestags beantragen, erklärte Wagenknecht gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Ablehnung der Eilanträge darauf hingewiesen, dass der neue Bundestag zusammentreten müsse, wenn ein Drittel der Abgeordneten es verlange.

8. Mai

Die Linke-Spitze hat sich am Wochenende allerdings darauf festgelegt, dass diese Auslegung der Rechtslage nicht zutreffend ist. Auch die Linke-Gruppe im Bundestag erklärte am Montag, die Idee entbehre jeder verfassungsrechtlichen Grundlage. Vielmehr sei dafür der Beschluss der Mehrheit des Bundestages erforderlich. »Wir lehnen diese von BSW und AfD betriebene politische Verdummung ab«, sagte Christian Görke, parlamentarischer Geschäftsführer der Linke-Gruppe. Er sprach von »schmierigen Tricks und bewusster Falschinformation«. Allerdings hatte auch der Autor eines Beitrages im Fachportal Legal Tribune Online, auf den die Linke-Kovorsitzende Ines Schwerdtner am Sonntag bei X verwies, lediglich davon gesprochen, dass das Zusammentreten des neuen Bundestages aufgrund eines Beschlusses von einem Drittel seiner Mitglieder »nach wohl herrschender Meinung« nicht möglich sei. Gerichtsfest geklärt ist das offensichtlich nicht.

Sollte die Sondersitzung des Bundestags am Dienstag stattfinden, dürfte alles seinen Gang gehen, da Union, SPD und Grüne über eine stabile Zweidrittelmehrheit verfügen. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch erklärte, er rechne nicht mit vielen »Abweichlern« in seiner Fraktion. Der scheidende CDU-Abgeordnete Mario Czaja erklärte gegenüber dem Portal The Pioneer, er könne der Grundgesetzänderung nicht zustimmen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte, man sei mit den »Abweichlern« im Gespräch.

Am Freitag müsste das Ganze dann noch durch den Bundesrat. Für eine Zweidrittelmehrheit sind die Stimmen Bayerns erforderlich. Die an der Landesregierung beteiligten Freien Wähler haben gedroht, die Grundgesetzänderungen zu blockieren. Deren Parteichef Hubert Aiwanger signalisierte aber schon, er sehe »eh keine Chance«, das Schuldenpaket aufzuhalten. Am Montag fand in München ein Krisentreffen von CSU und Freien Wählern statt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (21. März 2025 um 10:40 Uhr)
    Die neuen Anträge scheinen mir besser begründet zu sein, insoweit das Bundesverfassungsgericht schon bei der Verabschiedung des Heizungsgesetzes die zu kurzen Zeiträume für die Beratung moniert hatte. Vielleicht gelingt es ja doch noch, die Wahnsinnsverschuldung zu stoppen. Leider gibt es keine klare Regel, wieviel Zeit für die Beratung eines Gesetzes erforderlich ist. Das hängt u. a. von der Komplexität der Materie ab. Dass ein Drittel der Abgeordneten des neuen Bundestages ein Vorziehen der konstituierenden Sitzung erzwingen könnte, dafür finde ich keinen Beleg. In der juristischen Fachbibliothek Hannover habe ich in einem Grundgesetzkommentar aber die Bemerkung gefunden, dass vielleicht der künftige Alterspräsident (also Herr Gysi) den neuen Bundestag hätte einberufen können. Nun, dafür ist es zu spät. Um unserer – durch keinerlei Äußerung Putins gedeckten – Wahnvorstellung von russischen Angriffsabsichten zu frönen, rauben wir uns einfach den Wohlstand unserer Kinder und Enkel. Wo bleibt die nötige Nüchternheit?! Es ist zum Verzweifeln! Zum Schluss noch der genaue Wortlaut des Kommentators Prof. Dr. Leisner im GG-Kommentar von Dr. Sodan, 5.Aufl. 2024, C.H.Beck: »Die Wahlperiode des BTags beginnt stets, also auch bei Auflösung, mit dem «Zusammentritt» eines neu gewählten BTags (Art. 39 I 2, II), dh mit dem Beginn von dessen erster ordnungsgemäß einberufener «Sitzung». Einberufen wird er vom «bisherigen Präsidenten» (§ 1 I GeschOBTag), in verfassungswidriger, aber ständiger Praxis, unter Verstoß gegen den Verfassungswortlaut - der BT «tritt zusammen» - und in Verletzung der personellen Diskontinuität (-< Rn. 3). Als Verfassungsgewohnheitsrecht wird dies gerechtfertigt (MKS/Achterberg/Schulte Art. 29 Rn. 23), es ist aber nicht notwendig: Der an Jahren älteste neu gewählte Abgeordnete kann einberufen (vgl. § 1 II GeschOBTag). Ein Einberungsrecht nach Art. 39 III 3 gibt es hier nicht.« Wobei die Geschäftsordnung des BT 2017 neu definiert hat, wer Alterspräsident ist.>

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