Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Dienstag, 15. April 2025, Nr. 89
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten

Karneval der Tiere

Von Helmut Höge
Helmut_Hoege_Logo.png

Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, Martin Wikelski, lässt Tiere aller Arten weltweit einfangen und kleine Sender an ihnen befestigen, um ihre Wanderrouten zu verfolgen. Die den Tieren als kleine Rucksäcke umgehängten Sensoren messen darüber hinaus permanent ihren Gesundheitszustand, ihre Herzfrequenz und ihre Körpertemperatur. Die Daten werden zunächst an einen Satelliten gesendet und von dort zur Analyse auf die Rechner der Wissenschaftler übertragen. Sein hochdotiertes Projekt nennt sich Icarus.

Der Icarus-Gründer hält mit der Besenderung der Fauna Erich Kästners Kinderbuch »Die Konferenz der Tiere« (1949) für realisierbar. Darin treffen sich die Tiere zu einer großen Konferenz, um fürderhin die Geschicke der Erde zu leiten, nachdem die Menschen sich als unfähig erwiesen haben, Kriege zu vermeiden: »Die moderne Technologie ermöglicht es uns«, schreibt Wikelski, »eine repräsentative parlamentarische Onlineversammlung von Tieren abzuhalten, an der Tausende Tierarten und Hunderttausende einzelne Tiere aus der ganzen Welt teilnehmen können.«

Können sie sich denn alle untereinander verständigen, und würden wir das auch verstehen? Der Wissenssoziologe Bruno Latour ist von der Taubheit der Tiere überzeugt, die sich der Aufklärung verdanke. Ihre Stille sei jedoch »keine dem Tier wesentliche Unfähigkeit – vielmehr ist das Schweigen gerade die Antwort der Tiere auf die Art und Weise, wie wir sie behandeln«. Dass man mit Computern, Satelliten und Sendern ihr Schweigen brechen kann, halte ich für bloße Investorenwerbung des Plattformkapitalismus. Immer mehr Biologen begeistern sich jedoch für diesen technischen »Quantensprung« im »Dialog« mit der Natur.

Noch einen Schritt weiter gehen der Direktor des Berliner Naturkundemuseums Johannes Vogel und seine Frau, die Ururenkelin von Charles Darwin, Sarah Darwin. Beide sind Botaniker. Sie gehörten zu den Experten, die neben dem Politikjournalisten Boris Herrmann den Bundespräsidenten auf seinem Besuch der Galapagosinseln begleiteten. Herrmann hat die beiden Experten später interviewt und daraus ein Buch gemacht mit dem Titel: »Das Parlament der Natur. Was uns Farne, Finken und ihre Verwandten zu sagen haben« (2025).

Im Vorwort heißt es: »Frank-Walter Steinmeier erreichte den Archipel knapp zwei Millionen Jahre nach den Riesenschildkröten, im Februar 2019.« Diese leben nur auf den Galapagosinseln. Der Bundespräsident übernahm die Patenschaft für die neugeborene Riesenschildkröte Alejandra. Sarah Darwin ist die »führende Forscherin über die endemische Galapagos-Tomate«, und Johannes Vogel hat über Farne geforscht. Herrmann hält sie für ein »Traumpaar der Naturforschung. (…) Sie kämpfen für nichts Geringeres als für die Rettung der Welt«, wobei der Direktor des Naturkundemuseums zusammen mit anderen ähnlichen Museen aus diesem Naturkundecluster voller toter Tiere und Tierteile (30 Millionen Objekte allein in Berlin) eine »Weltrettungsmaschine« bauen will – für 150 Milliarden Euro.

Auch Martin Wikelski will mit seinen Sendern ein gutes Leben für die Menschen, es geht ihm darum, »wie viel wir von der Natur lernen können (…) auch und vor allem von dem Verhalten der Tiere. Die Verhaltensmuster, die sie entwickelt haben, und die kurzfristigen Verhaltensanpassungen, zu denen sie fähig sind, werden der Menschheit den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass eine Verbesserung unseres eigenen Wohlbefindens auf dem gesamten Planeten eine der wesentlichen Herausforderungen ist, mit denen wir es als Spezies zu tun haben.« Und dabei sollen uns die besenderten Tiere helfen.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Im Hintergrund die Potsdamer Stadtschlosskopie und die Nikolaiki...
    23.08.2024

    Nationale Geisterhöhle

    Die nächste preußisch-deutsche Baukopie steht: In Potsdam eröffnete der Bundespräsident den neu gebauten Turm der Garnisonkirche
  • Hans Hoffmanns Nachkriegskarriere wäre möglicherweise anders ver...
    20.12.2023

    Der Karriere wegen

    Heilbronn: Historikerin bestätigt verschwiegene SS-Mitgliedschaft von ehemaligem Oberbürgermeister
  • Die »Übergangspräsidentin«, die nicht daran denkt, Neuwahlen abh...
    14.10.2023

    Pomp für Putschistin

    Peruaner in Deutschland kritisieren Staatsempfang mit militärischen Ehren für Präsidentin Boluarte in Berlin

Regio:

Mehr aus: Feuilleton