Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Mittwoch, 19. März 2025, Nr. 66
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 19.03.2025, Seite 2 / Ausland
EU-Aussenpolitik

»Das Potential, Druck auszuüben, ist relativ groß«

Offener Brief an EU-Außenbeauftragte: Organisationen fordern, Israel solle sich an Völkerrecht halten. Ein Gespräch mit Riad Othman
Interview: Annuschka Eckhardt
2025-03-18T154525Z_1102755738_RC2LFDA2TTII_RTRMADP_3_ISRAEL-PALE
Schon wieder auf der Flucht: Palästinenser nach israelischen Angriffen (Gaza, 18.3.2025)

In der Nacht zum Dienstag wurden bei israelischen Angriffen mindestens 400 Menschen in Gaza getötet. Wie bewerten Sie den erneuten Bruch der Waffenruhe?

Nun, ich halte das für eine Fortsetzung der israelischen Politik der letzten Monate und in gewisser Weise der bereits begangenen Brüche der ersten Phase der Waffenruhe seit dem 19. Januar. Denn die israelische Regierung hat sich schon kurz nach deren Inkrafttreten nicht an die Abmachungen gehalten. Ich mache das daran fest, dass beispielsweise die vereinbarten Treibstoffmengen nicht geliefert wurden, dass Zelte nicht in dem Umfang nach Gaza geliefert werden konnten wie vereinbart, dass Container als Notunterkünfte Teil der Übereinkunft waren, aber gar nicht hereingelassen wurden. Schon in der ersten Phase der Waffenruhe haben israelische Streitkräfte in Gaza über 100 Menschen getötet.

Anlässlich der bevorstehenden Reise der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas in den Nahen Osten haben Sie gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen einen offenen Brief verfasst, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Grund für Ihren Appell sind die katastrophalen Bedingungen, unter denen die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland leben müssen. Trägt die EU auch Verantwortung dafür?

Die EU hat in vielerlei Hinsicht eine Mitverantwortung. Angefangen lange vor dem Krieg, der seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza tobt. Die Vernachlässigung rechtlicher Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen und dem Römischen Statut, die eigentlich erforderlich gemacht hätten, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten wirksame Schritte gegen die israelische Siedlungspolitik, gegen israelische Kriegsverbrechen, gegen Verbrechen gegen die Menschheit ergreifen müssten. Das ist über Jahrzehnte nicht geschehen. Im Gegenteil: Israel wurde mit privilegierten Handelsbeziehungen belohnt.

Während des Gazakrieges wurden Rüstungsexporte an Israel aus Ländern der Europäischen Union ausgeweitet. In Deutschland verzehnfachte sich der Umfang 2023 auf 326, 5 Millionen Euro. 2024, nachdem der Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 26. Januar bekannt gegeben hatte, ein Verfahren wegen des Verdachts auf Verletzung der Genozidkonvention zu eröffnen, und schon Zehntausende Menschen in Gaza getötet worden waren, wurden Rüstungsexporte an Israel aus der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 161 Millionen Euro genehmigt.

Die Haltung gegenüber dem israelischen Vorgehen ist innerhalb der EU nicht einheitlich. Wo besteht Einigkeit, wo sehen Sie Unterschiede?

Einigkeit bestand in der Forderung, dass Israel den humanitären Zugang zu Gaza von Anfang an hätte gewähren müssen, und zwar im erforderlichen Ausmaß. Allerdings wurde auf die israelische Seite nicht der entsprechende Druck ausgeübt. Ermahnungen sind relativ wirkungslos, wenn man dann gleichzeitig weiterhin Israel politisch in Schutz nimmt, materiell unterstützt und eigentlich alles immer nur mit dem »Selbstverteidigungsrecht des israelischen Staates« begründet. Spanien, Belgien oder Irland haben hingegen eine sehr viel klarere und kritischere Haltung eingenommen, die sich konsequenter am Völkerrecht orientiert.

Die EU ist Israels größter Handelspartner. Was fordern Sie von Kallas und der EU?

Wir fordern – kurz zusammengefasst – dass sie alle erforderlichen diplomatischen, wirtschaftlichen und auch rechtlichen Mittel einlegen, um Israel dazu zu bringen, sich an geltendes Völkerrecht zu halten. Das Potential, Druck auszuüben, das die EU als größter Handelspartner Israels zur Verfügung hätte, ist relativ groß. Ich halte die bisherige Haltung der EU, dass sie immer sagt, »wir sitzen nur auf dem Beifahrersitz und überlassen die Führung zur Konfliktregelung den USA«, für falsch. Der Punkt ist aber auch der, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der EU auf Konsens beruht. So ist sie gestrickt. Und solange das so bleibt und Länder wie die Bundesrepublik, Viktor Orbáns Ungarn, Tschechien und Österreich sich so einseitig an die Seite einer rechtsextremen Regierung in Tel Aviv stellen, wird man eben innerhalb der EU nicht den notwendigen Konsens erreichen, um eine andere Politik zu machen.

Riad Othman ist Nahostreferent bei Medico ­International

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Mehr aus: Ausland