İmamoğlu abgesetzt
Von Nick Brauns
Großer Andrang herrschte am Sonntag in vielen Städten der Türkei bei den Vorwahlen der größten Oppositionspartei CHP für die offiziell erst für das Jahr 2028 anstehende Präsidentschaftswahl. Es wird davon ausgegangen, dass der populäre Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, bei der auch für Nichtparteimitglieder offenen Abstimmung mit bis nachmittags bereits mehr als elf Millionen Teilnehmern zum Herausforderer von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nominiert wird.
Derweil ordnete ein Istanbuler Gericht am Sonntag an, den Mitte der Woche festgenommenen Oppositionspolitiker aufgrund von Korruptions- und Betrugsvorwürfen in Zusammenhang mit kommunalen Unternehmen in Untersuchungshaft zu nehmen. Ein von der Staatsanwaltschaft auch wegen Unterstützung einer Terrororganisation – Hintergrund ist die kommunale Kooperation der CHP mit der prokurdischen Dem-Partei – beantragter Haftbefehl wurde abgelehnt. Das ist insofern entscheidend, als im Falle der Inhaftierung unter Terrorismusverdacht die Einsetzung eines Treuhänders durch das Innenministerium erfolgen kann. Im Falle des in Untersuchungshaft sitzenden CHP-Bezirksbürgermeisters von Istanbul-Şişli, Resul Emrah Şahan, geschah dies am Sonntag auch. Dagegen kann die CHP trotz der gleichfalls vom Innenministerium verkündeten Amtsenthebung İmamoğlus mit ihrer Stadtratsmehrheit vorerst die Kontrolle über die Metropole behalten.
Wie der CHP-Vorsitzende Özgür Özel angab, beruhten die meisten Vorwürfe gegen İmamoğlu auf Aussagen »geheimer Zeugen« und nicht auf konkreten Beweisen. Der inhaftierte Bürgermeister selbst meldete sich am Sonntag auf X zu Wort. »Der Tag ist nahe, an dem die Menschen, die diesen Prozess steuern, vor dem allmächtigen Schöpfer zur Rechenschaft gezogen werden, sowohl in dieser Welt als auch im Jenseits«, erklärte der Sozialdemokrat, der an die Bürger appellierte, »zur Wahlurne zu rennen und der ganzen Welt ihren Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit zu verkünden«.
Viele Oppositionsanhänger setzten statt auf Gottvertrauen lieber auf Straßenproteste. Trotz eines bis zum 27. März verlängerten Versammlungsverbots und Zufahrtsbeschränkungen für die Stadt dauerten die Demonstrationen gegen den »Staatsstreich« vor dem Gebäude der Istanbuler Stadtverwaltung am Saraçhane-Platz am Wochenende an. Bei landesweiten Protesten wurden nach Angaben von Innenminister Ali Yerlikaya bis Sonntag 763 Personen festgenommen. Hinzu kamen Dutzende weitere Festnahmen von Organisatoren der Proteste, insbesondere unter Studenten und Mitgliedern linker Gruppen wie der Volkshäuser und der Arbeiterpartei der Türkei (TIP), die bei Razzien in den frühen Morgenstunden erfolgten.
CHP-Chef Özel hatte am Freitag einen Notfallkongress für den 4. April angekündigt. So soll verhindert werden, dass die Oppositionspartei, gegen die Erdoğan ein Ermittlungsverfahren wegen angeblichen Stimmenkaufs bei Özels Wahl auf dem Parteikongress im Jahr 2023 einleiten ließ, unter staatliche Treuhänderschaft kommt.
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