Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Sa. / So., 29. / 30. März 2025, Nr. 75
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 26.03.2025, Seite 5 / Inland
Marode Verkehrsinfrastruktur

Null Plan, fette Beute

Kaputte Brücke legt Berliner Autoverkehr lahm, in Hessen weicht Wald unsinniger Piste. Autobahn-GmbH befördert marodes System
Von Ralf Wurzbacher
5.jpg
Der Superstau ist für die nächsten Jahre auf der und rund um die Berliner Stadtautobahn garantiert

Mitte März warnte die Autobahngesellschaft »vor zu schnellem Fahren« auf der A 49 in Mittelhessen. Das fragliche Teilstück zwischen Schwalmstadt und Dreieck Ohmtal ist nagelneu und wurde erst vor wenigen Tagen für den Verkehr freigegeben. Bis zum Abschluss letzter Restarbeiten sei aber Vorsicht geboten. Autofahrer in Berlin erleben gerade das Kontrastprogramm: Hier ist die Bausubstanz uralt und an Raserei nicht zu denken. Seit einer Woche herrscht auf der Stadtautobahn am Dreieck Funkturm Dauerstau. Ein schon 2017 festgestellter Riss an einer der meistgenutzten Brücken Deutschlands hatte sich zuletzt »signifikant ausgeweitet«, womit der Totalschaden perfekt ist. Der erforderliche Komplettneubau wird absehbar mehrere Jahre dauern.

Beide Vorgänge stehen sinnbildlich für staatspolitisches Versagen, allerdings in zwei Varianten: Verschwendung und Kürzungswahn. Die Neubaustrecke in Hessen ist ein Desaster für Natur und Klima, ihre Errichtung wurde jahrelang von Protesten begleitet. Mit dem Lückenschluss verkürzt sich der Weg zwischen Gießen und Kassel um 13 Kilometer, was einem Zeitvorteil von wenigen Minuten entspricht – und 85 Hektar abgeholztem Wald. Dafür haben die Verantwortlichen Bau- und Betriebskosten von 1,45 Milliarden Euro für die nächsten 30 Jahre veranschlagt. Das dürfte nicht reichen. Das Projekt wird in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) umgesetzt, Investoren bauen und unterhalten die Fernstraße, der Staat fungiert quasi als Mieter. Kommt etwas dazwischen, wie fast immer – Wirtschaftskrise, Pandemie, Überschwemmung –, muss die öffentliche Hand draufzahlen und kassieren die Profiteure noch mehr.

In Berlin zeigt sich die Kehrseite der Medaille – oder in Dresden, wo die Carolabrücke vor einem halben Jahr einfach zusammenkrachte. Eine im Zeichen von Kürzungsdiktaten, »Schuldenbremse« und »schwarzer Null« verrottete Infrastruktur geht inzwischen vor aller Augen zu Bruch. Dass das »Ersparte« mittels Umverteilung bei Reichen und Unternehmen landete, haben die wenigsten im Blick. Unter anderen Vorzeichen geht es jetzt genauso weiter. Was kaputt ist, sollen die wieder herrichten, die davor schon vom Zerfall profitiert haben. Dazu wurde die Fernstraßenverwaltung per Großreform von den Ländern auf die privatrechtliche »Autobahn-GmbH des Bundes« überführt. Offiziell versprach die Politik »mehr Effizienz« und »weniger Bürokratie«. Unter der Hand geht es darum, den Straßenbau zu privatisieren, insbesondere mit dem Hebel ÖPP, zum Nutzen von Banken, Versicherungen und Bauindustriellen und zum Leidwesen der restlichen Bevölkerung.

Die Konstruktion hat einen Haken mehr. »Die Autobahn-GmbH kann fast nur Neubau, mit dem riesigen Sanierungsstau des Bestands ist sie völlig überfordert«, meint Carl Waßmuth vom Verein »Gemeingut in BürgerInnenhand« (GiB). Wie er am Dienstag junge Welt sagte, kämen aktuell »die geburtenstarken Jahrgänge unter den Autobahnbrücken ins Rentenalter«. Im Mittel seien diese zwischen 50 und 65 Jahre alt und in der Mehrheit billig mit Spannbeton in Verbundbauweise gefertigt worden. Nun vollziehe sich ihr Ende zügig: »Auf eine Phase reduzierter Fahrspuren nebst Lkw-Verbot folgt schnell der Riss und dann der Abbruch«, erklärte der GiB-Sprecher. »Eine verantwortungsvolle Politik hätte die Brücken planvoll und vorausschauend saniert oder durch neue, vorzugsweise schmalere, ersetzt.«

Nicht so in Deutschland. Hier wird erst gehandelt, wenn es schon zu spät ist, und dazu maximal planlos. Die Autobahn-GmbH ist bis heute nicht richtig aufgestellt, gelähmt durch Doppelstrukturen und fehlende Expertise. Es fehle vor allem an Fachleuten mit Sanierungskenntnis, befand Waßmuth. »Statt dessen wurden im ÖPP-Fanatismus Heerscharen von Wirtschaftsingenieuren eingestellt, die gefährliches Halbwissen mitgebracht haben.« Und was passiert mit den 500 Milliarden Euro, die die kommende Regierung in die Ertüchtigung der Infrastruktur stecken will? »Das Geld blind in die Autobahn-GmbH zu pumpen ist genauso blödsinnig, wie es blind in die Deutsche Bahn zu stopfen«, warnte der Aktivist. »Wir brauchen eine vernünftige Zielinfrastruktur, also viel mehr Eisenbahn, viel weniger Autobahn.« Und wenn es anders kommt? »Dann gibt’s noch mehr Stau und vielleicht Tote.«

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (26. März 2025 um 10:45 Uhr)
    »Statt dessen wurden im ÖPP-Fanatismus Heerscharen von Wirtschaftsingenieuren eingestellt, die gefährliches Halbwissen mitgebracht haben.« – Wie wahr! Denn Halbwissen ist vielfach weitaus gefährlicher als Nichtwissen; denn der Ahnungslose kann noch immer einen Fachmann zurate ziehen, der Halbwissende jedoch meint, selbst bereits einer zu sein. Resultat: Regelmäßig sowohl wesentlich längere Projektdauern als auch erheblich höhere Kosten. Konsequenzen für die Verursacher? Keine! Für die Öffentlichkeit bzw. die Steuerzahler? Ein Desaster!

Ähnliche: