Jetzt hängt’s an Brüssel
Von Reinhard Lauterbach
Kiew und Moskau haben sich am Mittwoch erneut vorgeworfen, die Vereinbarungen zum Nichtangriff auf Energieanlagen gebrochen zu haben. Diese waren jeweils separat zwischen Russland und der Ukraine und den USA in der vergangenen Woche getroffen worden. Am Dienstag einigten sich die beiden Kriegsparteien in ebensolchen getrennten Abmachungen mit den Vereinigten Staaten auch auf eine vorübergehende Waffenruhe im Schwarzen Meer.
Diese Übereinkunft stellt im wesentlichen die Regelungen aus dem Getreideabkommen von 2023 wieder her, aus dem erst Russland und dann die Ukraine ausgestiegen waren. Es sieht einen Verzicht auf Angriffe gegen Handels-, aber auch gegen Kriegsschiffe der anderen Seite vor. Handelsschiffe sollen nicht für Transporte militärischen Nachschubs genutzt werden dürfen. Die USA sagten Russland dabei zu, es bei der Rückkehr auf den Weltmarkt für Getreide und Düngemittel zu unterstützen und sich dafür einzusetzen, dass die zur Abwicklung der Zahlungen für diese Exporte federführende staatliche russische Landwirtschaftsbank wieder Zugang zum internationalen Abrechnungssystem SWIFT erhalte.
Die Vereinbarung der vergangenen Woche verpflichtet jede Seite, für einen Zeitraum von 30 Tagen Angriffe auf Anlagen der Energieinfrastruktur zu unterlassen. Im Text wird ausdrücklich aufgezählt, welche das sind: Kraftwerke, Staudämme, Umspannwerke, Fernleitungen, Öl- und Gasleitungen und ihre Begleitinfrastruktur. Bei Verstößen einer Seite gegen die Waffenruhe ist auch die andere nicht mehr an sie gebunden. Das Problem bei diesem Abkommen ist die Kontrolle eventueller Verletzungen.
Auch die Waffenruhe zur See steht unter einem großen Fragezeichen. Denn Russland hat am Dienstag erklärt, sich an beide Vereinbarungen nur gebunden zu fühlen, wenn die USA ihren Teil der Vereinbarung – den Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen – erfüllten. Dies aber hängt nicht ausschließlich vom Willen der Trump-Administration ab. So ist das Zahlungssystem SWIFT, aus dem russische Banken nach 2022 schrittweise ausgeschlossen worden waren, in Brüssel angesiedelt. Eine Wiederzulassung bedürfe somit der Zustimmung der EU, die am Mittwoch jedoch bereits angekündigt hat, Sanktionen nur nach einem Truppenabzug aufzuheben. Und die Versicherung russischer Handelsschiffe und ihrer Ladungen wird zentral über Unternehmen mit Sitz in London abgewickelt. Diesen haben die EU und Großbritannien im Zuge ihres Kampfes gegen die sogenannte Schattenflotte gerade verboten, Schiffe mit aus Russland kommenden Ladungen zu versichern.
In Kiew wird vor allem die Schwarzmeereinigung als zu weitgehend zugunsten der russischen Seite kritisiert. Die Ukraine erhalte praktisch nichts hinzu, Moskau dagegen könnte Teile seiner Schwarzmeerflotte wieder auf die Krim verlegen, ohne ukrainische Angriffe befürchten zu müssen. Präsident Wolodimir Selenskij nannte es ein falsches Signal, Russland vor einem Kriegsende wieder Aussichten auf ein Ende der Sanktionen zu machen.
Faktisch dürfte die Ukraine in einer Situation sein, die ihr außer der Zustimmung zu den Vereinbarungen keine Wahl lässt. Selenskij sagte der US-Zeitschrift Time am Dienstag, sein Land brauche einen raschen endgültigen Friedensschluss in spätestens drei Monaten. Ansonsten drohe die Kampfmoral der ukrainischen Truppen in Gefahr zu geraten. Die Ukraine habe 800.000 Mann unter Waffen, es könne zu »destruktiven Prozessen« führen, wenn sie untätig an der Front säßen. Aus seinen Aussagen ging nicht direkt hervor, was er damit meinte: Putschgefahren, mehr Gewaltkriminalität oder verstärkte Fahnenflucht.
Dass letzteres Thema weiter aktuell ist, zeigen Berichte aus dem südwestukrainischen Transkarpatien-Gebiet. Dort ist mit dem Ende des Winters die Zahl der Fluchtversuche ukrainischer Männer vor der Einberufung stark gestiegen. Ein Vertreter der ukrainischen Grenzbehörde sprach gegenüber dem Portal strana.news von einer Verdopplung innerhalb kurzer Zeit. Stark gestiegen ist auch die Höhe der Schmiergelder, die Fluchtwillige an Schleuser zahlen müssen. Nach Angaben des Artikels werden inzwischen bis zu 20.000 US-Dollar pro Person verlangt.
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