Derwischpirouetten
Von Maximilian Schäffer
Nostalgisch, fast anachronistisch, zeigt Barry Kosky an der Komischen Oper Berlin dem Publikum, was es vermisst hat: einfache, aber geile Bilder in starken Kontrasten, dazu Musik. Der Exintendant des Hauses inszeniert Philip Glass’ neoarchaisches Singspiel »Akhnaten« bzw. »Echnaton« (Uraufführung 1984 in Stuttgart) in Schwarz und Weiß mit ein paar Farbklecksen im Ausweichgebäude namens Schillertheater. Das mystische Fach steht Kosky gut, man erinnert sich immer wieder an Hans-Werner Henzes Oper »Die Bassariden«, mit der er 2019 am Haus die Spielzeit eröffnete. Nur mit Stoffen ohne Hang zur Blödelei kommt der Regisseur gut aus, andernfalls werden australische Dragshows serviert.
Der Anfang der ungefähr zweistündigen Dauerschleife auf- und abgenudelter Skalen, ganz konsequent ohne jede Verführung hin zur Melodie, gerät eindrucksvoll. Chor und Tänzer huldigen streng choreographiert dem höheren Wesen mit rituellem Lobpreis und exzessiven Derwischpirouetten. Das Ensemble in Schwarz, der Raum in Weiß, die Lichttechnik entblößt als gellende Sonne. Echnaton, gesungen vom US-amerikanischen Countertenor John Holiday, schafft die alten Götter ab, erklärt sie zu Götzen und installiert den Allumfasser. Das Reich der monotheistischen Religion wird mit dem Schwert errichtet.
Die Dauerekstase auf der Bühne nutzt sich nach gut anderthalb Stunden ab, weil Kosky zwar alles Gebotene konsequent geschmackvoll mit minimalistischen Licht- und Formspielen unterstreicht, aber sonst keine Ideen zum Stück erkennen lässt. Lichtkugeln, ein riesiger, aufblasbarer Quader, wallende Kostüme. Ebenso nutzt sich Glass’ Komposition ab, deren ganz eigene Konventionen jenseits der absichtlichen Wiederholung an einem deutlich spürbaren Punkt ermüden. Und das, obwohl Dirigent Jonathan Stockhammer die Gegensätze von musikalischem Mantra und Ausbruch orchestral hervorragend abgrenzt.
Aber nicht zum Punkt kommen, nie fertig werden, das ist eindeutig spätromantisch, und in dieser Hinsicht ist Glass kein Pfündchen besser als Wagner. Besonders nervt die seltsam gelehrige Dokumentarfilmebene, die man dem Komponisten im dritten Akt auch selbstbewusst wegkürzen hätte können. 80er-Jahre-Kitsch – genauso wie die gesamte, langsam sich bis zum Boden senkende Beleuchtungstraverse zum Schluss vorm Schluss vorm Schluss.
Was diesen Abend von vor vierzig Jahren trotzdem zu einem für das Publikum erfrischenden macht, ist die völlige Abwesenheit von Kataloghausmöbeln, Sofas, Chaiseloungen, Champagnergläsern, Kindern, Pflanzen und Wäscheleinen auf der Bühne.
Nächste Vorstellungen: 28.3., 5.4., 11.4., 18.4., 20.4.
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