Bagger gegen Faxgeräte
Von Kristian Stemmler
Tagelang wurde in den angeschlossenen Presseorgane das bevorstehende Ende der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD beschworen, am Mittwoch war es dann tatsächlich so weit. Gut sechs Wochen nach der vorgezogenen Bundestagswahl liegt ein ausgehandelter Koalitionsvertrag zwischen den Parteien vor, die im Parlament die einzige rechnerisch mögliche Mehrheit ohne die AfD (die in einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage erstmals vor der Union landete) haben. Am Nachmittag stellten der designierte Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Chef Markus Söder und die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken das 143 Seiten starke Papier vor. Merz sprach bei der nicht eben von Enthusiasmus gekennzeichneten Pressekonferenz von einem »kraftvollen Zeichen für unser Land«.
Er bedankte sich bei Söder, Klingbeil und Esken für die Zusammenarbeit in den Verhandlungen. Es sei ein »gutes persönliches Vertrauensverhältnis entstanden«, und er sei zuversichtlich, dass dies eine gute Grundlage sei, um vier Jahre zu regieren. Merz stellte vor allem Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag vor, von denen er anzunehmen scheint, dass sie der neuen Regierung Punkte bringen. Sowohl Bürger als auch »die Wirtschaft« sollten steuerlich entlastet werden. Die Netzentgelte werde man reduzieren und einen Industriestrompreis einführen, der energieintensive Unternehmen entlastet. Überstunden sollen künftig steuerfrei sein.
In der Migrationspolitik kündigte Merz einen harten Kurs an. Man werde »die irreguläre Migration beenden«. Es werde vermehrt Kontrollen an den deutschen Grenzen und auch Zurückweisungen von Asylsuchenden geben. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wird ausgesetzt, die freiwilligen Aufnahmeprogramme sollen beendet werden. Auch die von der Ampel eingeführte »Turbo-Einbürgerung« nach drei Jahren wird zu den Akten gelegt. Künftig soll eine Einbürgerung frühestens nach fünf Jahren möglich sein, so Merz.
Der CDU-Chef kündigte eine »durchgreifende Staatsmodernisierung« – ein seit Jahren in der Union diskutiertes, bislang kaum konkretisiertes Vorhaben – an. Dazu werde ein neues Ministerium für Digitalisierung geschaffen, das die Digitalisierung mit der Modernisierung verbinden solle. Modernisiert wird vorläufig erst einmal die Überwachungskapazität des Staates: Der Koalitionsvertrag sieht eine verpflichtende Speicherung von IP-Adressen für drei Monate vor. Verschärfungen gibt es, wie erwartet, auch beim sogenannten Bürgergeld, das in eine »neue Grundsicherung« mit allerlei Verschlechterungen und zusätzlichen Zumutungen für die Bezieher überführt werden soll. Sogenannte Sanktionen sollen zum Beispiel »schneller« durchgesetzt werden.
Klingbeil war um Pathos bemüht. In einer sich gerade neu ordnenden Welt gehe es darum, welche Rolle Deutschland dabei spielen könne. Der Vertrag habe das »Potential, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen«. »Die Bagger müssen arbeiten und die Faxgeräte in diesem Land entsorgt werden«, rief er aus. Der Vertrag sei ein »klares Signal« an »die Märkte«, dass in Deutschland wieder investiert werden könne. »Wir ordnen und steuern die Migration«, erklärte Klingbeil; dabei bleibe aber das Grundrecht auf Asyl »unantastbar«.
Nach der Einigung vom Mittwoch müssen die drei Parteien dem Koalitionsvertrag noch zustimmen, bevor er unterzeichnet und Merz zum Kanzler gewählt werden kann. Bei der SPD stimmen die Mitglieder darüber ab, bei der CDU soll ein kleiner Parteitag entscheiden, bei der CSU der Vorstand. Das Mitgliedervotum der SPD wird mindestens zehn Tage in Anspruch nehmen, wegen der Osterfeiertage dürfte es ein paar Tage länger dauern. Als möglicher Termin für den CDU-Parteitag wird der 28. April genannt, für die Wahl des neuen Kanzlers der 7. Mai.
Im Koalitionsvertrag ist auch die Verteilung der Ministerien festgehalten. Demnach kann die SPD in der neuen Bundesregierung mit sieben Ministerien rechnen, nämlich Finanzen, Justiz und Verbraucherschutz, Arbeit und Soziales, Verteidigung, Umwelt mit Klima, Entwicklungshilfe und Bauen. Auf die CDU entfallen neben dem Kanzleramt sechs Ministerien, auf die CSU drei. Für das Auswärtige Amt, das erstmals seit 60 Jahren wieder an die Union fällt, ist verschiedenen Berichten zufolge Johann Wadephul vorgesehen – und nicht der zuletzt als gesetzt gehandelte ehemalige CDU-Chef Armin Laschet. Der neoliberale Hardliner und bisherige CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann soll neuer Wirtschaftsminister werden, Alexander Dobrindt von der CSU Innenminister. Thorsten Frei, zuletzt parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, ist als Chef des Bundeskanzleramts vorgesehen.
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Leserbrief von Silke B. aus Hamburg (10. April 2025 um 15:19 Uhr)Sanktionen beim Bürgergeld schneller machen: Andere nennen es Entbürokratisierung. Was sowohl betreffs Sanktionen im Bürgergeld als auch bei den Firmen lästigen bürokratischen Kontrollen der Wirtschaft nur zur Entrechtung von Schwächeren dient. »Entbürokratisierung« (Verschnellerung) bei Sanktionen im Bürgergeld öffnen der Willkür wieder weit die Tore. Vermutlich diesmal schlimmer als unter Hartz. Die Anträge auf Sozialleistungen werden natürlich nicht »entbürokratisiert« – die werden für Antragsteller immer komplizierter. Entbürokratisierung in der Wirtschaft öffnet Missbrauch von erwerbstätigen Arbeitnehmern und Umwelt etc. durch Arbeitgeber weit die Tore. Ich erwarte immer noch eine Neuauszählung der Wahlen – das Thema ist noch nicht durch. Es darf nicht sein, dass das einfach so stehen gelassen wird: Dass allein (!) bei einzelnen Nachzählungen über 4000 zusätzliche Stimmen für das BSW gefunden wurden, weil das BSW beim Zählen anscheinend mit einer anderen Partei verwechselt wurde. Das darf (!) man nicht so stehen lassen! Eine bundesweite Neuauszählung muss (!) eigentlich sein. Denn eine Verwechslung kann auch überall sonst in Deutschland geschehen sein – wenn vielleicht auch nicht in dem Ausmaß, wie in den einzeln nachgezählten Bundesländern, wo das besonders auffällig war.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (10. April 2025 um 09:32 Uhr)Die Koalition verspricht zusätzliche Ausgaben fürs Militärische in schwindelerregenden Milliardenhöhen. Und gleichzeitig Steuersenkungen vorwiegend für Unternehmen. Da weniger Einnahmen und größere Ausgaben nicht so recht zusammenpassen, sei heute schon gefragt: Wer wird letztlich wohl die Zeche bezahlen müssen, die diese Koalition verspricht? Deutscher Michel, dieser Frage kann man heute noch ausweichen, der späteren Antwort aber überhaupt nicht. Sie lautet schlicht: Du, weil du gepennt hast!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (9. April 2025 um 22:53 Uhr)Wann faxt mir der Klingbeil endlich einen Bagger? Ein kleiner reicht, ich will nur meinen Garten umgraben.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (9. April 2025 um 20:51 Uhr)Es entsteht das Kabinett des Grauens, Wadepuhl als Außenamtschef, Dobrindt Innenminister usw. usf. Vorratsdatenspeicherung ist angekündigt, die übergroße Zahl der Bürgergeldempfänger werden von vornherein stigmatisiert als Faulenzer, Schmarotzer oder was auch immer. Dass bei den SPD-geführten Ministerien noch keine Namen angekündigt werden, beruhigt mich weniger. Heil weiter als Arbeits- und Sozialminister muss dann die Beschlüsse im Koalitionsvertrag gegen die Bedürftigen durchsetzen und macht dann die letzten verbliebenen Spuren der Sozial(!)demokratischen Partei kaputt, sein Parteigenosse Kukies (eventuell) als Finanzminister regelt das über den Haushalt, nur einer kann aus dem vollen schöpfen – Pistorius als Kriegsminister kann loslegen – eigenes Weltraumkommando, Killerdrohnen und weiteres Militärgerät für die große Aufgabe – den dritten Versuch Russland in die Knie zu zwingen. Ihr lieben Wähler – wolltet ihr das wirklich so? So verarscht nach einer Bundestagswahl – das gab es noch nicht mal nach den ersten gesamtdeutschen Wahlen zum Bundestag 1990, als Kohl den Ostdeutschen die blühenden Landschaften und »keinem soll es schlechter gehen« versprach. Helmut Kohl war mit seinen gebrochenen Wahlversprechen gegen das, was heute passiert, ein wirklicher Waisenknabe … Und die, die sich als »Alternative« für dieses Land darstellen, sind diejenigen, die davon profitieren werden. Aus einem ganz einfachen Grund, die Partei, die die wirklich fundierte Kritik an dieser Politik in den Bundestag tragen könnte wurde durch was auch immer kurz vor der Ziellinie noch gestoppt – noch! Und die Partei Die Linke hat sich schon entzaubert durch ihre Zustimmung im Bundesrat zu den Kriegskrediten und durch ihre Feigheit, die Einberufung des neuen Bundestages parallel zur AfD zu fordern. Diese PDL ist mit schuldig an dem, was jetzt passiert … Mal sehen wie Schwerdtner, van Aken, Gysi, Ramelow und Co. aus der Geschichte rauskommen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Michael M. aus Berlin (10. April 2025 um 14:04 Uhr)»Rauskommen«? Das wollen sie doch gar nicht. Sie sind endlich drin! Endlich Herr sein. Das wollen sie seit langem. »Verantwortung übernehmen« nennt man das.
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