Durchs Schlupfloch ins Verfassungsgericht
Von Martin Weiser, Seoul
Am 4. April wurde Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol vom Verfassungsgericht einstimmig aus dem Amt geworfen. Aber gerade einmal vier Tage später wollte Ministerpräsident Han Deok Su noch schnell Yoons engen Freund Lee Wan Gyu zum Verfassungsrichter befördern. Eigentlich sollte aber Han als Interimspräsident nur bis zur Wahl des neuen Präsidenten am 3. Juni den Staat verwalten und keine substantiellen Entscheidungen mehr treffen. Das schien zumindest der parteiübergreifende Konsens zu sein.
Lee ist seit Mai 2022 Chef des Ministeriums für Regierungsgesetzgebung in Yoons Regierung, und es laufen gegen ihn noch Ermittlungen zu seiner Verwicklung in den Putschversuch. Nach einem geheimen Treffen mit Yoon und anderen Kabinettsmitgliedern am 4. Dezember, also nur einen Tag nach Verhängung des nur für kurze Zeit anhaltenden Kriegsrechts, entsorgte Lee kurzerhand sein Mobiltelefon. Bei einer Parlamentsbefragung behauptete Lee, er wollte damit nur »unangenehme Missverständnisse« vermeiden. Aber wie auch bei anderen in Yoons Regierung steht der Verdacht im Raum, sie wollten großflächig Beweise vernichten. Weil das anscheinend sehr gründlich passierte, lässt sich das aber bisher nur schwer belegen. So jemanden dennoch für das Verfassungsgericht vorzuschlagen, ohne dass der Verdacht ausgeräumt ist, dass er selber ein Verfassungsfeind ist, zeigt, wie weit die Rechten in Südkorea gehen wollen. Wie auch in den USA ist eine konservative Mehrheit im Verfassungsgericht ein Baustein in ihrem Projekt, den Staat umzubauen.
Dass Han als Interimspräsident im Alleingang Verfassungsrichter einsetzen darf, liegt an dem labilen südkoreanischen System, das mit der Verfassung von 1987 etabliert und nie geändert wurde. Demnach dürfen jeweils drei Richter vom Parlament, Präsident sowie vom Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernannt werden, welcher allerdings wieder vom Präsidenten ausgewählt wird. Am 18. April enden die sechs Jahre Amtszeit für die linken Richter Moon Hyung Bae und Lee Mison, die Yoons progressiver Vorgänger Moon Jae In eingesetzt hatte. Yoon hatte dafür wahrscheinlich bereits Pläne geschmiedet. Han behauptet, das Verfassungsgericht könne wegen der laufenden Verfahren aber nicht noch zwei Monate warten, bis der neugewählte Präsident seine eigenen Richter aussucht. Aber wie schon seine Weigerung im Dezember, den linken Verfassungsrichter Ma Eun Hyuk zu ernennen, ist das nur vorgeschoben. Mit Lee und Ham Sang Hoon will er sogar zwei Konservative einsetzen, die das Gericht weiter nach rechts rücken werden. Obwohl das Parlament die Kandidaten in die Mangel nehmen darf, kann es kein Veto einlegen. Bei Lees Befragung am Mittwoch forderten die Abgeordneten der Demokratischen Partei deswegen geschlossen, aber erfolglos, dass Lee selbst das Richteramt ablehnen solle.
Laut der Zeitung Hankyoreh sehen selbst Abgeordnete von Yoons konservativer Partei PPP in der Ernennung eine Einflussnahme des geschassten Präsidenten, die schweren Schaden an der Demokratie anrichtet. Auch die eigentlich eher konservative Zeitung Joongang Ilbo fand harte Worte und warf Han am Donnerstag vor, er spiele mit dem Feuer und könnte einen Bürgerkrieg entfachen. Aber Yoons angeblicher Liebling für den Präsidentenkandidaten der PPP, die ehemalige Richterin und Fraktionsvorsitzende Na Kyung Won, suggerierte, genau das sei gewünscht. Bei ihrer Kandidaturerklärung meinte sie, die Wahl werde zum »zweiten Korea-Krieg«. Angesichts des Putschversuchs scheint der Vergleich makaber, da der südkoreanische Staat im Koreakrieg Hunderttausende Unschuldige wie etwa die Mitglieder der Bodo League hingerichtet hatte, nur weil man ihnen unterstellte, links zu sein.
Die Demokratische Partei hatte es 2017 schmerzlich vergessen, dieses Schlupfloch für die Ernennung der Verfassungsrichter zu schließen, und hat am Mittwoch im zuständigen Ausschuss schnell eine entsprechende Gesetzesänderung verabschiedet, die nun noch vom gesamten Parlament durchgewinkt werden muss. Die solle auch auf Hans schon erfolgte Auswahl von Lee Wan Gyu und Ham Sang Hoon angewendet werden. Damit ist bereits ein neuer Rechtsstreit programmiert.
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