Das Leben ist selber die Lösung
Von Vincent Sauer
Wer war Andreas Koziol? Er brachte wenige Bücher raus, gab selten Lesungen, erhielt keine Preise, war wohl kein Grüßaugust – und wer dem Gesetz der Geschäftigkeit nicht nachkommt, hat schlechte Chancen im Literaturbetrieb. Wem es darum geht, etwas über die eigene undurchdringliche Lebenswelt und sich selbst zu erfahren beim Schreiben von Literatur, wer dabei aber keine allseits bekannte Eigenmarke wird, der darf mit Ruhm nicht rechnen. Die Güte der Gedichte von Andreas Koziol rührt vielleicht gerade daher, dass sie für keine Szene geschrieben wurden, sondern für alle, die lesen wollen. 2023 ist er verstorben im Alter von 66 Jahren, nun liegen postum zwei Bücher vor, die Sammlung »Menschenkunde« und der Zyklus »Mur«, mit denen man einen Außenseiter kennenlernen kann, dessen Lyrik wie eine formbewusste, erwachsene Anarchie anmutet.
Koziol kam 1957 in Suhl auf die Welt, ging zur Schule, absolvierte den Militärdienst. Es folgte ein Studium der evangelischen Theologie, erst in Naumburg, dann in Berlin, wobei es Koziol weniger um die Gottessuche ging, vermutet Klaus Michael in seinem Nachwort zu »Mur«, sondern darum, von der Sprache der Eltern wegzukommen – die Mutter war Ingenieurin, der Vater Funktionär. Koziol findet sich wieder im literarischen Untergrund der DDR, im Prenzlauer Berg, wo er bis zu seinem Tod blieb. Er arbeite an der Zeitschrift ariadnefabrik mit, die 1986 bis 1990 herausgegeben wurde. Nach der Wende ist er einer der Mitbegründer des Verlags Druckhaus Galrev, wo viele Autoren publizieren, die in der DDR eher zur linken Opposition gehörten, in der neuen Lebenswirklichkeit West aber auch nicht aufgehen wollen.
Koziol macht bei Galrev vier Bücher, das letzte »Frühjahre. Eine Verserzählung« erschien 2001, danach kamen nur noch kleine Publikationen, Künstlerbücher. Der Schriftsteller Lutz Seiler, Herausgeber von »Menschenkunde«, motivierte Koziol, mit ihm gemeinsam einen Band zusammenzustellen. Seiler wiederum wurde von Henryk Gericke, der u. a. Musiker, Autor und Ostpunkexperte ist, an dieses Projekt geführt. In seinem Nachruf auf seinen Freund Koziol nennt er ihn einen »formvollendeten Systemsprenger«. Wer sich der Gedichte annimmt, die dem Kreuz- oder Paarreimschema folgen, oft in Quartetten gebaut, kann dem zustimmen: Koziol gelang mit formal sanfter Strenge inhaltlich ein echter Existenzialernst ohne Grimm in seiner Lyrik: »Ich träumte schlecht, es ging um meine Haut. / Vereister Fluß, ich saß, vor Kälte taub, / auf einer unterm Frost erstarrten Welle / und zählte die mir weggeschwommenen Felle, / noch meinend: immer weg mit diesem Plunder, / da plötzlich sich ein fremdes Stück darunter, / nachdem ich lange skeptisch darauf guckte, / als meine eigene Haut entpuppte.«
Koziol wechselt die Register sprachlich, ohne dass er Kunststücke mit dem Wörterbuch vorführt. Er arbeitet mit Wiederholungen, Listen, Humor kommt zustande ohne Witzelei. Liebe, Altern, Tod, Freundschaft, die Schrecken und Freuden der eigenen, unhintergehbaren Wahrnehmung von Stadt und Natur, darum geht es: »Fast sprachlos bewohnst du dein Leben / Die Fenster klirren wie Waffen / Der Staub will sich gar nicht mehr legen / Was Augenblick war, ist nun Gaffen«. Die »Menschenkunde« schließt mit der Besprechung eines ungeschriebenen Buchs mit dem Titel »DDR-Innerungen. Wortsetzungsroman in 7 Kapiteln«, einer Suchbewegung, Selbstbefragung über die Sprünge in der Zeit und den Systemen: »Er saß in der Falle und feilte am Fehler / schrieb an Entschuldigungen für sein Fehlen / und wurde draußen noch nicht mal vermißt. / Im einsamen Dialog mit der ganzen Chose / glaubte er aus Seufzern Gott herauszuhören, oder ein Möbelstück gab ein Ächzen von sich. / Dann hat er wieder auf die Wände eingepredigt / und führte sich auf, als wäre er ausgebrochen.«
Der Zyklus »Mur«, der im verdienstvollen Verlag Moloko Print erscheint, gleicht einer Reise, die vielleicht nicht auf Ankunft zielt. Es ist ein Zwiegespräch zwischen einem Dichter und einer, seiner Figur aus Worten. Spielerisch, aber eben nicht als Metaerzähler-Allesversteher folgen wir dieser Silbe von einem Mann: »Mur war eine ausgebrannte / brüchige Romanfigur. / Der Roman kam nicht zustande. / Übrig blieb nur eine Spur. // Ich begann ihn zu bedauern, / denn er lebte noch in mir / wie ein Bettler hinter Mauern / aus zerrissenem Papier«. Mur landet in Therapie, trifft auf Vampire, hält Zwiesprache mit einer Krähe, überlegt sich im Meer zu ertränken, bleibt aber doch wandlungslustig bis zum Schluss: »Es gibt den Spruch: ›es ist wie es ist‹. / Der führt sich auf wie ein Daseinsfaschist. / Wer damit kommt: ›ich bin wie ich bin‹ / der ist schon dahin.« Tritt man mit den Menschen in Dialog, den Lebenden und den Toten, ist man vor starren Identitäten, die ohne Frage die Welt abgehen, gefeit. Andreas Koziols Gedichte sind wundersame Gesprächspartner der besten Art.
Andreas Koziol: Menschenkunde. Herausgegeben von Lutz Seiler in Zusammenarbeit mit Henryk Gericke. Kookbooks-Verlag, Berlin 2024, 80 Seiten, 24 Euro
Andreas Koziol: Mur. Gedichtzyklus. Mit einem Nachwort von Klaus Michael. Verlag Moloko Print, Schönebeck (Elbe) 2024, 95 Seiten, 15 Euro
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