Unsere beste Waffe
Von Jennifer Black
Mumia Abu-Jamal liefert jedes Jahr einen Kommentar für die Rosa-Luxemburg-Konferenz, und jedes Jahr bin ich aufgeregt und neugierig, worüber er sprechen wird. Er ist einer der international bekanntesten Gefangenen und ein Beispiel dafür, wie Imperien Individuen und Kollektive terrorisieren, um sie zum Schweigen zu bringen und unsichtbar zu machen. Ich glaube nicht, dass Sie eine Einführung brauchen, um zu erfahren, wer Mumia ist. Ich muss Ihnen auch sicherlich keine Details über seine Inhaftierung mitteilen. Tatsächlich ist es der Politisierung und der revolutionären Solidarität der deutschen Linken zu verdanken, dass ich um Mumias Geschichte weiß. Ich will Ihnen erzählen, warum. Es ist eine Geschichte über Mumia Abu-Jamal, Rosa Luxemburg und die Rolle der internationalen Solidarität, die Auswirkungen des Staatsterrors und den Triumph der Solidarität über Angst und Tyrannei.
Ich will es Ihnen erklären. 1991 besuchte mein Vater Berlin. Er ist 1921 in Berlin geboren worden und war Teil der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus. Als er 1991 in Deutschland war, wurde er des öfteren von Genossen gefragt, ob er aus Pennsylvania komme und ob er sich in den USA für die Befreiung von Mumia Abu-Jamal einsetze. Und er fragte: Wer ist Mumia Abu-Jamal? Dann hat er sich schlau gemacht, wer Mumia war, und er war entsetzt zu hören, unter welchen Umständen er im Gefängnis saß in Huntington, nur 33 Meilen von seinem Wohnsitz in Pennsylvania entfernt.
Mein Vater war im Alter von 16 Jahren aus seinem Vaterland vertrieben worden. Sie warfen ihn aus der Schule, weil er illegale Literatur von Rosa Luxemburg in seinem Besitz hatte. Es waren ihre Gefängnisbriefe. Ist es nicht unglaublich, dass es einer Reise nach Berlin bedurfte, damit jemand aus Pennsylvania erfuhr, wer Mumia war?
In Pennsylvania haben wir seitdem eine Kampagne für die Freiheit Mumia Abu-Jamals ins Leben gerufen. Wir haben viel bewirkt. Aber unser Ziel, die Befreiung Mumias, haben wir noch nicht erreicht. Er sitzt noch immer in Pennsylvania in Haft, jenem Bundesstaat, der insgesamt 96.000 Menschen gefangen hält. In den 44 Jahren seiner ungerechten Gefangenschaft hat er stets durchgehalten.
Es mag sein, dass die Umstände hier in Deutschland andere sind als in den Vereinigten Staaten. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit. Das ist die Rolle, die der staatliche Terror gegen unsere Bewegung ausübt. Das gilt für die aufständische Jugend im Jahre 1933 in Berlin wie es auch für die Black-Panther-Bewegung gilt, und es gilt ebenso für diejenigen, die sich heute dem Genozid in Palästina widersetzen. Es geht darum, unsere Bewegungen zu zerschmettern. Das ist die Taktik des Terrors. Aber Mumia und sein Schicksal erinnern uns daran, dass es auch Taktiken der Befreiung gibt.
In Pennsylvania gibt es eine hoffnungsspendende Organisation, das Anti-Prison Movement. Diese Bewegung wird getragen von denen, die im Gefängnis sitzen. Sie lassen sich nicht einschüchtern, sie verfallen nicht in Apathie. Sie machen das trotz ihrer Ängste, trotz der Schrecken, mit denen man ihnen droht. Mumias Motto ist: Liebe, nicht Angst. Einheit, Solidarität und revolutionäre Liebe sind die Tugenden, die wir brauchen, um gemeinsam zu überleben.
Den Stimmen der Gefangenen zuzuhören, darum geht es auch in dem Buch, das ich gemeinsam mit Mumia herausgegeben habe. Es heißt »Beneath the Mountain« (Unter dem Berg). Das Buch beleuchtet die Idee der Abschaffung der Gefängnisse und betont die entscheidende Rolle der Solidarität und der Einheit, um politische Unterdrückung zu überwinden. Angesichts des Rechtsrucks und des außer Rand und Band geratenen Kapitalismus brauchen wir die Solidarität um so mehr. Sie ist unsere beste Waffe. Und sie ist das Bindeglied, das uns über die Grenzen und sogar über die Geschichte hinweg vereint.
Jennifer Black ist Wissenschaftlerin und Prison Radio Aktivistin
Die Flüchtlinge sind nicht unsere Feinde
Grußbotschaft von Mumia Abu-Jamal
Die Welt leidet. Der Rechtsruck ist stark. Die Politiker sind in der Kunst, die Angst zu säen, immer besser geworden. Sie missbrauchen diese Angst für politische Ziele. Sie wollen uns zu Entscheidungen drängen, die wir eigentlich nicht verantworten können. Das passiert in Europa und in den Vereinigten Staaten. Bei der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA hat die Furcht im Wettbewerb zwischen Liebe und Angst obsiegt. Im März 1934 hat Franklin Delano Roosevelt gesagt: »Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.« Das war vor fast einem Jahrhundert. Heute jedoch ist die Angst das Instrument, das zu immer mehr Angst führt. Angst vor Menschen, die fremd sind, die anders sind. Angst vor Frauen.
Die Politiker wissen genau, wie man die Bevölkerung manipuliert. Sie wissen ganz genau, welche Macht Emotionen haben. Die Angst wird benutzt, um Menschen zu manipulieren. Viele Menschen sind so in der Furcht befangen, dass sie nicht wirklich das Spiel durchschauen, das mit ihnen getrieben wird. Diese Angst macht uns stumm. Sie beraubt uns der Fähigkeit zur Analyse, um zu sehen, was wirklich abläuft.
Da ist diese Hysterie gegenüber den Einwanderern in Europa, wo es viele Flüchtlinge gibt aus den ehemaligen Kolonien, die versuchen, in die Länder zurückzukehren, die in der Vergangenheit kolonialisiert haben. Auch in den USA wird viel von dieser Energie konzentriert gegen Einwanderer aus Lateinamerika, gegen die Mexikanerinnen und Mexikaner, gegen arabische Flüchtlinge oder Menschen aus Haiti. Wie hat Trump gesagt? Sie würden den Amerikanern ihre Haustiere wegessen, ihre Hunde und Katzen. Das war natürlich eine Lüge. Aber die Menschen, die aus Haiti kommen, sind damit zum Objekt unserer Angst geworden. Dabei haben damals die Haitianer den Amerikanern geholfen, gegen die Briten zu kämpfen.
Das Zeitalter, das wir heute erleben, ist nicht nur das Zeitalter, wo die Menschen sich eine neue Heimat suchen, sondern es geht um Neoliberalismus, um die Öffnungen für neue Märkte. Der Neoliberalismus und diese Ängste wegen der Flüchtlingsbewegungen, das gehört zusammen. Märkte sind nicht dafür da, die Situation zu verbessern – außer für diejenigen, die Profite erwarten. Es geht um Ausbeutung. Darum müssen wir zusammenstehen und uns besser organisieren. Die Flüchtlinge sind nicht unsere Feinde. Unsere Ängste sind unsere Feinde. Und Angst ist nichts als ein Gefühl.
Mit Liebe statt Angst. Hier spricht Mumia Abu-Jamal – aus dem Land der Gefangenen. Auf Wiedersehen.
Mumia Abu-Jamal ist Journalist und Bürgerrechtler. Seit 1981 sitzt er wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten in Haft. 2011 wurde die gegen ihn verhängte Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.
Mehr Infos: freiheit-fuer-mumia.de
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