Durch die Decke
Von Dieter Reinisch
Wohneigentum ist unerschwinglich geworden, immer weniger Menschen können sich die Mieten leisten, sozialer Wohnbau ist knapp und so ist die Obdachlosigkeit hoch wie noch nie. Die neue Labour-Regierung im Vereinigten Königreich hatte große Pläne und einen Wohnbauplan vorgelegt, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Doch dieser könnte scheitern: Es fehlt am Geld und Personal in der Baubranche.
Die durchschnittlichen privaten Mieten in Großbritannien stiegen laut aktuellen Zahlen des nationalen Statistikamts vom Januar in den zwölf Monaten bis Dezember 2024 um neun Prozent. In England stiegen die durchschnittlichen Mieten sogar um 9,2 Prozent auf 1.369 Pfund Sterling (rund 1.643 Euro). In Nordirland belief sich der Anstieg auf 8,6 Prozent, in Wales um 8,5 Prozent und in Schottland um 6,9 Prozent. Besonders stark war der Anstieg in der Hauptstadt London mit 11,5 Prozent.
Mieten auf Rekordhoch
Auch die durchschnittlichen britischen Hauspreise stiegen: in den zwölf Monaten bis November um 3,3 Prozent auf 290.000 Pfund Sterling (rund 348.000 Euro). Auch hier sind die Preise in England am höchsten. Ein durchschnittliches Haus kostet 306.000 Pfund Sterling (367.000 Euro). Am günstigsten ist Eigentum in Schottland, dort stiegen die Preise aber am stärksten. Seit der Pandemie steigen die Wohnkosten konstant: Laut Zahlen der Immobiliensoftwarefirma Zoopla vom Dezember 2024 ist die Miete einer neu vermieteten Immobilie im Durchschnitt 270 Pfund Sterling (324 Euro) pro Monat teurer als am Ende der Coronaviruspandemie.
Die Mieten begannen 2021 zu steigen, da die Nachfrage der Mieter nach der Aufhebung der Lockdowns hoch war und nur eine begrenzte Anzahl Immobilien zur Verfügung stand, schreibt Zoopla. Zuletzt sei die Mietsteigerung jedoch abgeflacht. Dies liege laut dem Bericht daran, dass »potentielle Mieter mit Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten konfrontiert seien«. Das Statistikamt geht davon aus, dass die Wohnpreise in Großbritannien weiterhin auf ähnlichem Niveau steigen werden, wenn es keine politischen Maßnahmen gibt, um dem Preisanstieg entgegenzuwirken.
Dies trifft vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen wie Arbeiterfamilien, Alleinerziehende und Studierende. Eine Studentin aus Brighton erzählt beispielsweise in einem Bericht der BBC, sie gebe über 1.000 Pfund Sterling (1.200 Euro) pro Monat für die Miete eines einzigen Zimmers in einer studentischen Wohngemeinschaft aus. Obwohl sie einen Teilzeitjob und Studienkredit hat, verschlinge das Wohnen nahezu ihr gesamtes Monatseinkommen. »Dadurch bleibt mir praktisch kein Geld übrig«, sagte sie dem Sender. Zum Vergleich: Der nationale Mindestlohn (National Living Wage) für Lohnabhängige ab 21 Jahren beträgt derzeit laut Regierungsangaben 11,44 Pfund Sterling pro Stunde und soll demnach ab April dieses Jahres auf 12,21 Pfund Sterling erhöht werden. Nach Angaben der Statistikbehörde vom November 2024 stieg der Medianstundenlohn ohne Überstunden für Vollzeitbeschäftigte von 17,40 auf 17,52 Pfund Sterling.
Laut einer Studie der Joseph Rowntree Foundation (JRF), die Mitte Januar veröffentlicht wurde, stiegen die Wohnpreise in den vergangenen 17 Monaten durchgehend jeweils über acht Prozent und liegen nun »auf Rekordhoch«. Mieter zahlen im Durchschnitt 110 Pfund (132 Euro) mehr pro Monat als noch ein Jahr zuvor. In London müssen sie sogar bis zu 200 Pfund (264 Euro) pro Monat zusätzlich aufbringen im Vergleich mit Januar 2024. »Die Mieten steigen viel schneller als Inflation und Löhne«, warnte JRF. Laut der Bank of England lag sie im Dezember 2024 bei 2,5 Prozent.
Einer Schätzung der National Housing Federation zufolge sollten in England jedes Jahr rund 340.000 neue Wohnungen gebaut werden, von denen 145.000 erschwinglich sein sollten. Als »erschwinglich« gelten Wohnungen, wenn die Bewohner weniger als 30 Prozent ihres Einkommens dafür ausgeben müssen.
Am Beginn ihrer Amtszeit hatte die Labour-Regierung des neoliberalen Premier Keir Starmer große Pläne präsentiert. Die Partei hatte versprochen, im Laufe der nächsten Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen, und sich damit ein ehrgeiziges Ziel für den Bau neuer Wohnungen gesetzt. Sie hat sich außerdem verpflichtet, Englands »Grüngürtel« zu schützen, um die Landschaft vor Zersiedlung zu schützen. Die konservative Vorgängerregierung hatte sich 300.000 neue Wohnungen pro Jahr in England zum Ziel gesetzt. Diese Marke konnte von den Tories aber nie erreicht werden.
Ruinierte Kommunen
2023 und 2024 wurden 235.000 neue Wohnungen gebaut, wie das Magazin Big Issue schreibt. Labour plane rund 350.000 Wohnungen jährlich zu bauen, wobei Vorrang dem sozialen Wohnbau gegeben werden soll. Doch Beobachter befürchten, dass diese Zahl nicht eingehalten werden kann. Es wird derzeit sogar davon ausgegangen, dass Labour selbst hinter die Zahlen der Tories zurückfallen werde, schreibt Big Issue. Der Hauptgrund dafür ist, dass die neuen Wohneinheiten von den Kommunen gebaut werden sollen, doch die sind pleite. Eine vom Londoner Southwark Council in Auftrag gegebene Studie ergab, dass 93 Prozent der Wohnbaubudgets englischer Kommunen aufgebraucht sind. 61 Prozent der Gemeinden sagen demnach Wohnbauprojekte ab, unterbrechen oder verschieben sie. Ausgaben für mehr als ein Drittel der Reparaturen und der Instandhaltungsarbeiten von Sozialwohnungen wurden gekürzt.
Bis 2028 würden rund 2,2 Milliarden Pfund Sterling in den Gemeindebudgets fehlen. Der Verband der Kommunen fordert daher 644 Millionen Pfund Sterling Soforthilfe für den Wohnbau und die Instandhaltung von Sozialbauten. Aber auch mit diesem Geld würden nur die vorhandenen Lücken gestopft werden – das ambitionierte Labour-Projekt der für Wohnbau zuständigen Ministerin Angela Rayner könnte nicht umgesetzt werden.
Viel Geld aus dem Budget verschlingen kurzfristige Lösungen. Viele Familien werden mangels Sozialwohnungen von den Kommunen in Hotels und Bed and Breakfasts untergebracht. Die Kosten dafür sind von über 1,6 Milliarden Pfund Sterling in 2022/23 auf 2,1 Milliarden in 2023/24 gestiegen, wie aus einem neuen Bericht des parlamentarischen Budgetausschusses hervorgeht. »Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, die Konzentration auf kurzfristige Lösungen und das Fehlen einer klaren Strategie zur Bewältigung dieses Problems haben Tausende von Familien in äußerst beunruhigende Lagen gebracht«, kritisierte der Ausschussvorsitzende Geoffrey Clifton-Brown bei der Vorstellung des Reports.
Die jüngsten verfügbaren Zahlen zeigen, dass 123.100 Familien im Juni 2024 in solchen temporären Unterkünften lebten – darunter 160.000 Kinder. Matt Downie von der Organisation »Crisis«, die sich um Wohnungsnot kümmert, sagte: »Uns erzählen Menschen, dass sie das Essen für ihre Kinder auf Heizkörpern wärmen, weil sie sich den Strom nicht leisten können.« Schimmel, offen liegende Stromkabel und fehlende Feuertreppen seien in manchen Sozialwohnungen seit acht Jahren bekannt, aber niemand von der Kommune unternimmt etwas, sagte ein Vertreter der Mietervereinigung Acorn bei einem Protest am 15. Januar in Cambridge der Zeitung Morning Star.
Dieter Reinisch ist Historiker und Journalist. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Vereinigten Königreich, Irland und Österreich.
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