Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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50 Jahre Putsch in Chile

50 Jahre Putsch in Chile

Im Jahr 2023 jährt sich der faschistische Putsch in Chile zum 50. Mal. Anlässlich dieses Ereignisses plant die Tageszeitung junge Welt eine Veranstaltungsreihe. Es werden der eingeschlagene sozialistische Weg durch die Unidad Popular und den Präsidenten Salvador Allende gewürdigt, der Putsch durch General Augusto Pinochet unter Anleitung und Finanzierung durch die USA sowie der Widerstand dagegen in Erinnerung gebracht. Vielfache Bezüge zu heutigen Entwicklungen werden hergestellt. Den Höhepunkt fand unsere Reihe mit einem Konzert im Gedenken an den chilenischen Musiker Victor Jara. Einige weitere Veranstaltungen sind noch in Planung.

Die Veranstaltungen unserer Chile-Reihe finden Sie unten:
Alle Veranstaltungen in der Maigalerie der jungen Welt werden auch per Livestream auf jungewelt.de übertragen.

Berichte

  • · Berichte

    Brücke ins Jetzt

    Hagen Bonn
    Freude und Zuversicht: Aruma Itzamaray und Tobias Thiele als Duo
    Freude und Zuversicht: Aruma Itzamaray und Tobias Thiele als Duo Yarawi in der jW-Ladengalerie (Berlin, 7.12.2023)

    Ein Abend zu Ehren von Pablo Neruda in der Berliner Maigalerie

    »In Nerudas Dichtung ist ganz Chile gegenwärtig, mit seinen Flüssen und Bergen, dem ewigen Schnee und den glutheißen Wüsten. Über alle Dinge aber stellt er den Menschen, den Mann und die Frau. Darum ist in seiner Dichtung die Liebe und der soziale Kampf.«

    Salvador Allende

    Am Donnerstag waren in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin der Schauspieler Rolf Becker und das »Duo Yarawizu« zu Gast, bestehend aus der chilenischen Sängerin Aruma Itzamaray und dem Berliner Liedermacher Tobias Thiele. Der Lyrik- und Liederabend stand unter dem Motto »Pablo Neruda und sein Lateinamerika. Über Leiden und Hoffen, Unterdrückung und Widerstand«, ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltungsreihe »50 Jahre Putsch in Chile«.

    In der Ankündigung der Veranstaltung mit Texten von Pablo Neruda und Liedern von Violeta Parra, Víctor Jara, Daniel Viglietti, Circe Maia und Quilapayún hieß es: »Südamerika in Unruhe, die zum Aufruhr führen kann, zum Umschlag von Protesten in militärische Gewalt – wie bereits vor Jahrzehnten und in den vergangenen Jahrhunderten. Die Kämpfe und Leidenswege haben in Berichten, in Dichtung und Musik Ausdruck und weltweit Anklang gefunden.« Eine besondere Ausdrucksform des politischen Liedes entstand mit der »Nueva Canción« (wörtlich: Neues Lied) in den 1950er und 1960er Jahren. Zuerst in Argentinien, Chile und Uruguay, dann erfasste die Bewegung den ganzen Kontinent. Violeta Parra begann schon in 1950er Jahren chilenische Volksmusik mit sozialkritischen Inhalten zu verweben. Nach dem faschistischen Putsch 1973 in Chile konnte das »Neue Lied« nicht mehr offen gesungen werden, aber die Popularität des Genres wuchs rasant weiter. Die Armut der Menschen und ihr Kampf um bessere Lebensbedingungen fanden in Protestliedern Ausdruck – auch an diesem Abend. Die kraftvolle Stimme von Aruma Itzamaray intonierte perfekt die deftige Dramatik, leise emotionale Nuancen, Freude und Zuversicht der unsterblichen Lieder des chilenischen Kampfes. Ihre Authentizität, ihr Feuer, die klare Intonation der spanischen Verse schlugen das Publikum in ihren Bann.

    Kongenial an der Gitarre, bot Tobi Thiele eine einfühlsame wie ausdrucksstarke Begleitung. Auch sängerisch musste er sich nicht verstecken, besonders einprägsam war sein Lied »Memorias« von der LP »Alles kann anders sein« (2018). Im Gespräch erzählte er mir begeistert von seiner kürzlich beendeten Tour durch Kuba, wo er zwei Monate mit Monika Ehrhardt Lakomy den »Traumzauberbaum« auf spanisch präsentierte. Seit kurzem zurück, fand er sich im schneevermatschten Klima von Berlin nur schwer wieder zurecht.

    Das Können des Altmeisters Rolf Becker hinreichend zu rühmen fällt schwer: Nerudas Texte donnerten aus ihm heraus, als ob der Literaturnobelpreisträger höchstselbst die Regie­anweisungen gegeben hätte. Becker legt sein ganzes Herz in die Darbietung, da zieht etwas innerlich in dem Mann – er wird eins mit dem Text. Das Publikum applaudierte hingerissen, dankbar. Natürlich wurde auch der historische Hintergrund des Dargebotenen gewürdigt. Becker, erinnerte sich, wie er 1973 mit Elfriede Irrall »Sendung auf Sendung beim WDR über die Lage in Chile« produzierte. Brücke ins Jetzt: »Heute wäre eine solche Arbeit im Fernsehen unmöglich.«

    Kleine Bühne, großer Abend. Und über die Zukunft schrieb einst Pablo Neruda: »Auch wenn du alle Blumen abschneiden kannst, kannst du nicht vermeiden, dass es Frühling wird.«

  • Während Ihres Aufenthaltes in Deutschland sind neue Informationen ans Licht gekommen, die untermauern, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND womöglich in den Putsch in Chile involviert war. Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?

    Es ist schrecklich, und ich würde gerne sehen, dass die deutschen Behörden diese Informationen transparent machen und freigeben, damit bekannt wird, wie die internationalen Allianzen während der Regierungszeit der Unidad Popular dazu beigetragen haben, die Volksregierung zu destabilisieren. In Zeiten des Leugnens und der Relativierung von Gewalt, ja sogar der Rechtfertigung von Gewalt, ist es wichtig, diese Informationen zu kennen. Seit ich mich erinnern kann, bin ich meiner Mutter auf der Suche nach Gerechtigkeit gefolgt. Es war sehr schwierig, die Geschichte der Vorbereitung auf den Putsch zu rekonstruieren. Diese Nachrichten sind schrecklich, auch nach so langer Zeit. Aber wir haben nicht aufgegeben, nach Informationen zu suchen, und tatsächlich gibt es immer noch mehr als 1.200 verschwundene Personen, die bisher nicht gefunden wurden.

    Wann haben Sie angefangen, sich für die Aufklärung des Putsches und für die Demokratie einzusetzen?

    Als Kind dachte ich nie, dass wir 50 Jahre später die Notwendigkeit, fast die Verpflichtung haben würden, darüber zu sprechen. Das zeigt, wie tief die offene Wunde ist und welchen enormen Einfluss der Putsch auf die chilenische Gesellschaft hatte. Wir leiden immer noch unter den Folgen der Straffreiheit und dem Pakt des Schweigens in den Streitkräften. Ohne die Arbeit der Familienangehörigen und sozialen Organisationen hätten wir nie auch nur einen Bruchteil der Wahrheit darüber herausgefunden, was geschehen ist.

    Wie groß ist von offizieller Seite das Interesse an Aufklärung?

    Es besteht ein sehr aktives Interesse daran, dies alles zu verbergen und unter den Teppich zu kehren, um eine Tragödie zu verschleiern, unter der wir immer noch leiden. Diese betrifft nicht nur die direkten Familienangehörigen der Opfer von Repression, Folter und Mord, sondern nach dem Putsch wurde in der Gesellschaft ein wirtschaftliches System etabliert, von dem wir uns immer noch nicht befreien konnten, mit einer miserablen öffentlichen Bildung, armseligen Renten usw.

    Sie haben als Kind die DDR besucht. Woran können Sie sich erinnern?

    Der Vater meiner Schwester war hier. Meine Mutter hatte zuerst Patricio Bunster und dann meinen Vater geheiratet. Patricio wurde hierher gebracht und als Exilant aufgenommen. Wir kamen, um ihn zu besuchen, und ich habe Erinnerungen an die Grenzüberquerung von Ost- nach Westberlin. Ich habe mich wirklich erschrocken, es war wie in einem Film, und ich war damals ungefähr zwölf Jahre alt. Aber ich erinnere mich, als wäre es letzte Woche gewesen.

    Wie verlief Ihre Flucht aus Chile?

    Die dauerte mehrere Tage. Meine Mutter musste meinen Vater allein mit zwei Freunden beerdigen. Bis wir abreisten, erinnere ich mich, wie sie Plakate und Schallplatten aus der DDR beseitigte, indem sie alles vergrub oder verbrannte, damit es nicht gefunden würde. Aber meine Mutter war sehr tapfer. Sie rettete Originalaufnahmen von Liedern meines Vaters, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Ein schwedischer Journalist nahm sie im Diplomatengepäck mit. Wir gingen zum Flughafen, begleitet von zwei britischen Botschaftsbeamten, und in den Koffern befanden sich weder Kleidung noch Spielzeug, sondern Zeitungsausschnitte, Bänder und Fotos – alles, was meine Mutter retten konnte. Der Flughafen war leer, es gab nur Soldaten und Touristen, sehr wenig Betrieb, es war sehr einsam dort, und wir flogen mit sehr wenigen Menschen. Ich kam in ein Land, in dem ich die Sprache nicht sprechen konnte, aber Kinder sind erstaunlich, also lernte ich die Sprache und hatte Freunde zum Spielen im Hof.

    Und dann gingen Sie nach London?

    Meine Mutter war Engländerin, also habe ich sie in ihrem Element kennengelernt, das war schön. Ich habe ihre Familie kennengelernt, das Haus, in dem sie aufgewachsen ist, ihre Schule. Tatsächlich sind wir auf die Schule gegangen, an der sie als Kind unterrichtet wurde. Das alles war schön. Wir hatten gute Erfahrungen und viel Glück, denn wir wurden von einer Künstlerfamilie aufgenommen, einem Dichter und einer Schauspielerin, die zwei Töchter hatten. Sie waren Fremde, wurden aber später Teil unserer Familie. Ich lebte in einem schönen Viertel, besuchte eine wunderbare Schule mit linken Intellektuellen.

    Sie sind schließlich wieder zurück nach Chile gezogen. Warum blieben Sie dort?

    Ich begleitete meine Mutter zur Arbeit an dem Buch, das sie im Jahr 1981 über das Leben meines Vaters geschrieben hat. Ich war von Chile fasziniert. Auf einmal lernte ich ein Land kennen, das voller Chilenen war, für mich etwas Faszinierendes, denn ich kannte sie nur als Minderheit im Ausland. Auch die Kleidung beeindruckte mich: Alle trugen Schwarz, Grau, Blau, fast uniform in ihrer visuellen Erscheinung. Ich hatte in diesem Moment den Wunsch, dort zu bleiben, aber im Leben muss man praktisch sein, und ich dachte: »Nein, ich muss die Schule beenden.« Bevor ich an die Universität ging, wollte ich ein Jahr nach Chile zurückkehren, aber dieses Jahr wurde zu einem »immer« und ich kehrte nie mehr nach London zurück. Und als die Demokratie nach Chile zurückkehrte, wurde die Stiftung Víctor Jara gegründet, um nicht nur zu erzählen, dass mein Vater ermordet wurde, sondern auch sein Werk bekannt zu machen.

    Wie haben Sie das Referendum für eine neue Verfassung in Chile 2019 erlebt?

    Das war äußerst schwierig und verwirrend für alle. Nur etwa 20 Prozent haben es unterstützt. Es war sehr schwer zu verstehen, was am Wahltag passiert war. Einige sagen, dass Putsche heutzutage über die Medien, mit Fake News und einer Umgebung voller Lügen und Informationsmanipulation ablaufen. Es wäre interessant, dies genauer zu analysieren, denn wir haben bisher nicht die notwendige Selbstkritik geübt. Es gab viel Identitätspolitik, die uns spaltete und uns vom großen Projekt ablenkte.

    Welche Bedeutung hatte die Abstimmung für Sie?

    Es wäre wichtig gewesen, um aus dieser neoliberalen Struktur herauszukommen, in der es uns seitdem schwergefallen ist, bestimmte demokratische Rechte zurückzugewinnen. Seit 1990 ist es sehr schwierig, die Struktur der Diktatur abzubauen. Vorher hatten wir eine gute öffentliche Bildung, mein Vater konnte an der Universität studieren, obwohl er kein Geld hatte. Der Putsch hat all das verändert. Ohne Geld besuchst du eine schlechtere Schule und hast nicht viele Chancen. Die Renten sind im Keller gelandet, und jetzt, wenn du dein ganzes Leben als Lehrer arbeitest, endest du mit einer Armutsrente. Es dauert sehr lange, sich davon zu erholen, und das ist es, was beim Referendum verlorengegangen ist: die Ressourcen wieder in die öffentliche Bildung, in ein gerechteres Rentensystem, in das öffentliche Gesundheitswesen zu investieren. Das sind die wichtigen Anliegen.

    War es Ihnen wichtig, diese Tour in Deutschland zu führen?

    Als sich mir die Gelegenheit bot, nach Deutschland zu kommen, dachte ich, dass ich nicht gerne reise. Aber ich wollte aus Chile heraus, weil die Atmosphäre so ist, dass man den Fernseher ausschalten muss: Die Diskussion ist stark manipuliert, es gibt eine redaktionelle Linie, die von der extremen Rechten in allen Morgenmagazinen vertreten wird, und Falsches wird verbreitet, ohne dass jemand etwas dagegen sagt. Es herrscht eine Atmosphäre der Leugnung und Relativierung von Gewalt, in der behauptet wird, dass der Putsch notwendig oder die Unidad Popular schuld daran war. Das ist sehr verstörend.

    Wenn die Demokratie bedroht ist, kann nur mehr Demokratie das Problem lösen, und deshalb war die Gelegenheit, aus Chile wegzugehen, auch für mich eine Möglichkeit, andere über Chile sprechen zu hören, zu erfahren, wie sie die Situation sehen. Wir sehen, dass Nationalismus weltweit auf dem Vormarsch ist. Tatsächlich gewinnt die extreme Rechte in Argentinien, hier in Deutschland, in Italien an Einfluss.

    Amanada Jara ist Malerin und eine von zwei Töchtern des von der chilenischen Diktatur ermordeten Sängers Víctor Jara

  • · Berichte

    »Da wurde enorme Schlagkraft entwickelt«

    Berlin: Ausstellung rekonstruiert Chile-Solidaritätsbewegung in der DDR und in der BRD. Ein Gespräch mit Sebastian Köpcke

    Interview: Nico Popp

    Am Montag wird im Berliner Kino Babylon aus Anlass des 50. Jahrestages des faschistischen Putsches in Chile die Ausstellung »El pueblo unido. Erinnerung an den 11. September 1973« eröffnet. Was genau erwartet die Besucher?

    Die Ausstellung wird zu den Öffnungszeiten des Kinos in den frei zugänglichen Räumen des Babylon gezeigt, also im Foyer und im Galerieraum. Wir können dort keine Originale zeigen, weil das wegen der Zugänglichkeit nicht versicherbar ist. Inhaltlich schauen wir nicht so sehr darauf, was am 11. September 1973 in Chile passiert ist. Diese Geschichte ist vielfach erzählt und dokumentiert worden. Uns hat interessiert, was danach im Rest der Welt geschah. Konkret: Was passierte in der Bundesrepublik und was in der DDR? Die Solidaritätsbewegung in der DDR hatte offiziellen Charakter und wurde zugleich für sehr viele Menschen zu einer wichtigen persönlichen Angelegenheit, die sich aus einer unmittelbaren Betroffenheit speiste. Letzteres war auch in Westdeutschland so, aber hier war die Solidarität Angelegenheit einer Gegenöffentlichkeit. Die Bundesrepublik spielte ja im Team Pinochet, wie man heute nachweisen kann. Und doch gab es im September 1973 schon nach wenigen Tagen in fast jeder westdeutschen Kleinstadt ein Chile-Komitee. Die haben Demonstrationen veranstaltet, Geld gesammelt und überhaupt erst die Aufnahme von Geflüchteten erzwungen. All das wird in der Ausstellung sichtbar.

    Indem Sie Dokumente dieser Solidaritätsbewegung zeigen?

    Ja. Wir haben da keine wissenschaftliche Ausarbeitung vorgelegt. Unsere Ausstellungstafeln sind knallbunt bestückt mit jeder Menge Material, das für sich spricht. Das wird jeweils ganz kurz mit ein paar Sätzen eingeordnet. Wir gehen davon aus, dass viele Besucher des Babylon, die dort auf unsere Ausstellung stoßen, schon einen politischen Kompass haben, um sich in der Problematik zurechtzufinden.

    Was ist denn mit Besuchern, die diese Ausstellung im Kino vorfinden, aber keinerlei Wissen über den Putsch mitbringen?

    Wir sind davon überzeugt, dass unser Konzept auch dann funktioniert, wenn Besucher kein Vorwissen haben.

    Lässt das Material aus Westdeutschland genauere Aussagen darüber zu, wer die Solidaritätsbewegung dort getragen hat?

    Das reichte von privatem Engagement, über die DKP, Gruppierungen, die aus der APO hervorgegangen waren, und linke Gewerkschafter bis hin zu Kirchenkreisen. Das war eine durchaus breite Bewegung. Man erkennt da auch, dass viele Menschen schon lange mit großen Hoffnungen das verfolgt hatten, was sich in Chile unter Allende entwickelte. Und um so größer war das Entsetzen, als man dann sah, mit was für einer Brutalität dieses Projekt zerstört wurde. Die Solidaritätsbewegung war auch recht lange lebendig – in einer analogen Zeit, in der es kein Internet, keine Handys und keine sozialen Netzwerke gab. Um so beeindruckender ist die enorme Schlagkraft, die damals entwickelt wurde.

    Haben Sie unterschiedliche Akzente in Ost und West ausgemacht?

    Für uns war eigentlich erstaunlich, wie nahe man sich da in den Inhalten war. Letztlich wollten wir da aber nichts bewerten oder gegeneinander ins Verhältnis setzen. Mit der Ausstellung wollen wir ganz konkret allen danken, die damals Solidarität gezeigt haben.

    Sie haben die Ausstellung auch mit Interviews von Zeitzeugen verknüpft. In welcher Form wurde das umgesetzt?

    Wir führen seit etwa einem Jahr diese Gespräche und wollen das auch weiterhin tun. In der Ausstellung stehen nun nicht überall Bildschirme, auf denen diese Interviews gezeigt werden. Wir haben diese Interviews auf unsere Webseite www.ok-projekt.de gestellt. Die kann man sich über QR-Codes erschließen. Aber das sind viele Stunden Material, die sich die wenigsten Besucher im Foyer des Babylon ansehen werden. Die Gespräche, durch die vieles sehr anschaulich wird, sind für uns ein Bestandteil der Ausstellung. Wir eröffnen sie am Montag mit einem kurzen Redebeitrag von Osvaldo Puccio, der 1973 in das Konzentrationslager auf der Dawson-Insel gesperrt wurde und dann bis 1984 in der DDR lebte. Nach dem Ende der Diktatur war er Minister, Botschafter und Präsident der Salvador-Allende-Stiftung. Im Anschluss gibt es eine filmische Wiederaufführung der Chile-Kantate »Mumien« der Kölner Politrockband Floh de Cologne aus dem Jahr 1974. Das ist unseres Erachtens ein Meisterwerk – ein Stück politischer Kunst mit einer sprachlichen Präzision, die man heute gar nicht mehr kennt.

    Sebastian Köpcke ist Gestalter, Autor und Fotograf; zusammen mit Claudia Opitz hat er die Ausstellung im Kino Babylon, die bis zum 25. Oktober gezeigt wird, realisiert

    Eröffnung: Montag, 11. September 2023, 18.30 Uhr, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin

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    Die Geschichte gehört uns

    Volker Hermsdorf

    Chile erinnert an den faschistischen Staatsstreich gegen die gewählte Linksregierung unter Präsident Allende vor 50 Jahren

    Der von General Augusto Pinochet am 11. September 1973 angeführte Militärputsch war der Auftakt zum internationalen Siegeszug des Neoliberalismus. In Chile leitete er eine 17 Jahre dauernde faschistische Diktatur ein, in der Folter, »Verschwindenlassen«, Mord und Repression an der Tagesordnung waren. Um der Opfer zu gedenken, empfängt Chiles sozialdemokratischer Präsident ­Gabriel Boric an diesem Montag im Präsidentenpalast »La Moneda« zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Dort nahm sich der sozialistische Präsident Salvador Allende vor 50 Jahren das Leben, nachdem die Putschisten das Gebäude gestürmt hatten.

    Absurderweise möchte Boric nun außer seinen Gästen und Vertretern antifaschistischer Parteien zum 50. Jahrestag auch ehemalige Unterstützer und bekennende Anhänger Pinochets für ein »Bekenntnis zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten« gewinnen. Damit beißt er bei den Rechten jedoch auf Granit, die den Staatsstreich rechtfertigen, statt ihn zu verurteilen. Während die Sympathiebekundungen für Folterer und Mörder folgenlos blieben, wurde eine Gruppe linker Studenten, die sich aus Protest dagegen eine Woche vor dem Jahrestag am Hauptsitz der unter Pinochet gegründeten Rechtspartei Unión Demócrata Independiente angekettet hatten, von Spezialeinheiten der Carabineros verhaftet. Bei der Festnahme kündigten die Aktivisten weiteren Widerstand unter dem Motto »Kein Vergeben – kein Vergessen« an.

    Das gelte auch für die Rolle der USA, die den Putsch vorbereitet und das faschistische Regime unterstützt hatten, um daraus ökonomischen Nutzen zu ziehen. Am Freitag übergaben der kommunistische Abgeordnete Luis Cuello und die Vorsitzende des Jugendverbandes der KP, Daniela Serrano, in der US-Botschaft ein Schreiben an Präsident ­Joseph Biden, in dem Schadenersatz für die Opfer des Putsches gefordert wird. Zwar spuke »das Gespenst Pinochets« noch immer in Chile, doch »auch Allende ist gegenwärtig«, kommentierte die spanische Journalistin Carmen Parejo Rendón auf RT dessen Präsenz im Alltag. Fast prophetisch hatte der gestürzte Präsident noch in seiner letzten Ansprache über Radio Magallanes am Morgen des Putsches optimistisch erklärt: »Man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.«

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    »Im ganzen Land wurden Lager errichtet«

    Annuschka Eckhardt

    Über Chile zum Zeitpunkt des faschistischen Putsches gegen die Regierung Allende und die Zeit danach. Ein Gespräch mit Günter Küpper

    Zum Zeitpunkt des Putsches des faschistischen Generals Augusto Pinochet gegen die Regierung der Unidad Popular und den gewählten Präsidenten Salvador Allende vor genau 50 Jahren arbeiteten Sie in der Botschaft der DDR in Santiago de Chile. Was bedeutet der 11. September für Sie?

    Es war ein einschneidender Tag. Ich habe den ganzen Putsch hautnah miterlebt, da ich zufällig wieder Nachtdienst hatte. Der Tag war schon insgesamt etwas unruhig, und ab zehn Uhr verdichteten sich die Hinweise, es könnte einen erneuten Putschversuch geben. Dem 11. September waren ja schon einige Anläufe vorangegangen. Ich hatte das Radio eingeschaltet und habe die ganze Nacht hindurch zugehört. Ich habe keine Minute geschlafen. Irgendwann kamen immer mehr Mitteilungen, dass von der Hafenstadt Valparaíso Seeleute auf die Hauptstadt Santiago zumarschieren. In den frühen Morgenstunden, so gegen vier, hieß es, es seien Panzer aus der Kaserne gefahren.

    Um sechs Uhr habe ich dann die Leitung informiert – das waren damals der Botschafter und der Handelsrat, dass es etwas Größeres sein könnte und sie zeitnah in die Botschaft kommen müssen. Ich erklärte ihnen, dass wir schnell handeln müssten, falls notwendige Maßnahmen zu ergreifen sind.

    Das klingt beängstigend! Was passierte dann?

    Am Vormittag ging alles Schlag auf Schlag: Erst waren Flugzeuge über Santiago zu sehen. Vom Botschaftsdach aus konnten wir sehen, wo die ungefähr hinflogen. Dann hörten wir die Einschläge in der Residenz von Präsident Allende, und in der »­Moneda«. Über das Radio wurde bekanntgegeben, dass Allende in »La Moneda«, dem Präsidentenpalast sei. Diese sei von Panzern umstellt, und es werde geschossen. Dann wurde von Pinochet der Befehl gegeben, Allende solle mit allen Mitarbeitern rauskommen. Allende hat als Staatspräsident alle Beschäftigten aufgefordert, sich den Putschisten zu ergeben und ist mit den Worten »mich kriegen sie nicht« drinnen geblieben. Kurz darauf wurde verkündet, Allende sei tot, er habe sich erschossen. Das war für uns eine furchtbare Mitteilung. Tragisch!

    Wie hat die Botschaft auf diesen Schock reagiert?

    Wir mussten natürlich reagieren und tausende Sachen in die Wege leiten. Das erste war: Wie sichern wir alle Mitarbeiter, und wie holen wir die Leute nach Santiago, die außerhalb sind? Dann die Frage: Wie können wir helfen? Wo müssen wir dafür hin – kommen die Autos überall hin? Es musste alles organisiert werden. Ich habe die gesamte Administration gemacht. Alles, was sich bewegte in der Botschaft, ging über meinen Tisch oder lief über meine Mitarbeiter.

    Die Regierung der Unidad Popular veränderte vieles zu der Zeit in Chile. Welche von Salvador Allendes Entscheidungen bewerten Sie aus heutiger Sicht als sinnvoll?

    Der ganze Zug, der in Bewegung gebracht wurde, war sinnvoll. Das war ein bisschen wie Kuba, das war ein bisschen Sowjetunion, das war ein bisschen von uns. Allende hatte Ahnung, er war ja schon zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat angetreten. Er war kein Neuling und wollte einen demokratisch sozialistischen Staat aufbauen. Doch er stand inmitten von Raubtieren: Die USA und ihre Handlanger waren überall. Deshalb musste sich die Unidad Popular durchkämpfen. In der ersten Phase, die ich bewusst erlebt habe in den Jahren 1972/73, gab es viele Erfolge und eine große Begeisterung im Land. Es wurde alles umgestaltet. Die Jugend lernte, die Studenten lernten. Die Menschen waren so begeistert.

    Auch außerhalb Chiles?

    Die westliche Welt konnte gar nicht so schnell reagieren, so rasant wie Chile sich veränderte und entwickelte. Was das Schlimmste für das Kapital war: Die beiden Kupferminengesellschaften der USA wurden verstaatlicht. Das war von Allende planmäßig vorbereitet worden, damit das Vermögen im Land bleiben konnte. Chile sollte den Chilenen gehören, das war sein Credo. Aus Sicht der Vereinigten Staaten war das schrecklich, denn sie nutzten Lateinamerika als Vorratskeller. Heute ist das für sie nicht mehr nur Südamerika, heute rauben sie Ressourcen weltweit. Damals war das also ein richtiger Schlag, davon mussten sich die USA erst mal erholen. Unmittelbar begannen sie, dagegen zu kämpfen, verbreiteten Lügen und haben die Leute aufgehetzt. Die CIA verteilte Gelder an Privatpersonen und Unternehmen für Aktionen gegen Allende. Es gab beispielsweise organisierte Straßenblockaden. Korrumpierte Lkw-Fahrer haben die Panamericana dicht gemacht und Reifen angezündet. Die ganzen sogenannten Streiks, die stattfanden, waren von den USA geplant und finanziert.

    Welche Auswirkungen hatten diese US-finanzierten Aktionen?

    Durch die Straßenblockaden und Streiks wurde auch in Santiago das Essen verknappt, die Verkehrsmittel wurden eingeschränkt. Mit unseren Diplomatenfahrzeugen war es uns noch möglich einzukaufen, was es in der Stadt sonst nicht mehr gab. In der Hauptstadt lebte ein Drittel der chilenischen Bevölkerung, und es hieß, wer Santiago in der Hand hat, hat das Land in der Hand.

    Das eigentliche Ziel der Reaktion war, Chaos zu verbreiten. Dadurch hatte die Junta dann die Möglichkeit, Allende zu unterstellen, er könne den Staat nicht leiten, und das Militär müsse einschreiten. Das war das Ziel der USA und ihrer Verbündeten. Die Reaktion der ganzen Welt richtete sich geballt gegen Chile und gegen die Solidarität mit Allendes Regierung. Diese Solidarität war zwar sehr groß, aber sie konnte den faschistischen Putsch nicht verhindern.

    Übrigens: Die Flugzeuge, die über Santiago flogen, waren von der BRD geschickte Luftakrobaten. Diese haben Aufnahmen gemacht, was wo bombardiert werden könnte. Davon habe ich Bilder, die Flugstaffel habe ich fotografiert. Ich bin im Nachgang des Putsches auch oft gefragt worden: »Habt ihr Waffen gehabt«?

    Und? Hatten Sie Waffen?

    Also, ich weiß bloß, dass der kubanische Botschafter ein MG hatte. Aber was soll sowas gegen Panzer bringen? Da hat unser Botschafter zu ihm gesagt »Lasst den Unsinn!« Und die Kubaner haben auf die DDR gehört. Aber was wäre gewesen, wenn wir Waffen gehabt hätten? Die Finnen haben immer gemutmaßt, wir hätten ein riesiges Arsenal Waffen in der Botschaft. Mein Freund, der finnische Vizekonsul, wollte immer wissen, was wir im Keller haben. Dann hat ihm ein Genosse von der Staatssicherheit den Keller mal gezeigt, damit sich das Thema endlich erledigt (lacht).

    Sie haben eben gesagt, dass es bereits vereitelte Putschversuche gegeben hatte. Hatten Sie denn in den Wochen und Tagen davor eine böse Vorahnung?

    Die Möglichkeit eines Putsches bestand immer. Das wussten wir, das wusste Allende, das wussten alle. Nur wie genau er angezettelt werden würde, das wusste niemand.

    Heute ist klar, dass die USA und der Auslandsgeheimdienst CIA ihre Finger im Spiel hatten. Was wussten Sie damals darüber?

    Wir wussten, dass die großen Konzerne, die in Chile sind, natürlich mit den USA zusammenarbeiten. Die Kupferminen wurden ja, wie gesagt, enteignet. Uns war natürlich auch klar, dass die USA das nicht so ohne weiteres hinnehmen würden. Wir haben damit gerechnet, dass sie darauf hinarbeiten würden – und hinarbeiteten –, Chaos zu verbreiten.

    Auf den Putsch folgte eine dreitägige Ausgangssperre …

    Wir hielten uns in der Botschaft und unserer Schule, außerdem in Wohnungen auf. Im Land wurde geschossen – Tag und Nacht: Pinochets Anhänger mussten jede Nacht ihre Gewehre leer schießen. Um unsere Botschaft herum waren Scharfschützen stationiert und konnten von dort aus den Hof des Gebäudes überwachen. Im »Notfall« hätten sie auch von dort oben in die Botschaft schießen können.

    Was hat die Militärjunta mit Kommunisten gemacht?

    Sie wurden eingesperrt und ermordet. Wenn wir in die Stadt gefahren sind, waren immer Leichen im Mapocho (Fluss durch Santiago, jW) zu sehen. Die haben die Leute ganz einfach umgebracht. Bei uns suchten Verfolgte, die mit dem Tod bedroht waren – das betraf Minister, Senatoren, Künstler sowie den Schwiegersohn von Erich Honecker – Schutz. Später kamen dann auch Menschen, die zuerst in Konzentrationslagern gefangen waren und irgendwie rausgekommen sind.

    Also sind Leute aus den Konzentrationslagern in die Botschaft als politische Geflüchtete gekommen?

    Ja. Die haben schreckliche Sachen erzählt! Im ganzen Land wurden Lager errichtet. Für mich ganz persönlich das dramatischste war die Ermordung eines unserer Fahrer. Den hatte ich eingestellt, ein ganz toller Typ. Er hatte ein Kleinkind, das war etwa ein Jahr alt. Eine Woche nach dem Putsch kam seine Frau, ganz in Schwarz, mit dem Kind zu mir. Sie hatte ihren Mann drei Tage lang gesucht und dann erschossen in einer Avenida gefunden, auf dem Mittelstreifen.

    Die meisten Mitarbeiter der Botschaft reisten ab, Sie aber blieben.

    Am 17. September 1973, knapp eine Woche nach dem Putsch, flog ein Flugzeug mit den führenden Mitarbeitern, dem Botschafter, Gesandten und politischen Mitarbeitern, nach Hause. Der Rest wurde am 23. September zurück nach Berlin geflogen. Ich musste bleiben, weil ich die Unterschriftsberechtigung in den chilenischen Banken hatte. Ich habe dadurch verfolgen können, wie Pinochet das Land verkauft hat. Er hat alles zu Geld gemacht: selbst das Wasser, die Wasserläufe wurden durch die Putschregierung verkauft.

    Gab es Ideen und Strategien der SED, auf den Staatsstreich zu reagieren?

    Na, wir haben die diplomatischen Beziehungen unterbrochen, weil ein DDR-Bürger misshandelt wurde. Damit wurden die Beziehungen weitestgehend eingestellt. Dann haben wir uns darum gekümmert, Verfolgte zu schützen und außer Landes zu bringen, die bei uns Asyl suchten.

    Wie viele Leute suchten Schutz in der Botschaft?

    Ich habe insgesamt 127 Personen betreut, die sich zu uns geflüchtet hatten. Mit den letzten sechs habe ich sieben Monate zusammengelebt, wie eine Familie. Darunter war Allendes Anwalt, es waren viele Kommunisten und Künstler. Die meisten der geflüchteten Chilenen konnten nach und nach in die DDR ausfliegen, und sie waren dort dann in Sicherheit. Mit den sechs bis zuletzt in der Botschaft Verbliebenen haben wir uns richtig angefreundet und hatten auch später in der DDR noch Kontakt.

    Günter Küpper war von 1972 bis 1977 Leiter der Administration in der DDR-Botschaft in Chile

  • Carlos Gomes (*1981) kam in Bonn zur Welt und lebt und arbeitet heute als Kunstwissenschaftler in Berlin. Aufgewachsen in einem progressiven Elternhaus, hat er einen Blick für besondere Themen. Nach seinem Buch »Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland«, hat er in sich in seinem neuen Buch den Zeugnissen zugewandt, die als Reaktion auf Pinochets Militärputsch entstanden – »CHILE 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD«, das im Juli im Verlag 8. Mai erschienen ist.

    In Vorbereitung der Ausstellung »EL PUEBLO UNIDO« im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz ihres OK-Projektes hatten Claudia Opitz und Sebastian Köpcke Gelegenheit, mit Carlos Gomes zu sprechen. Das Video ist auf ihrem Youtube-Kanal zu sehen.

    Mehr Informationen: www.ok-projekt.de | www.chile1973indeutschland.org

    Der Bildband »CHILE 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD« ist im jW-Shop für 19.90€ erhältlich. Es gibt noch einige wenige Subskriptionsexemplare für . Die Subskriptionsausgabe ist auf 99 Exemplare limitiert. Sie ist vom Autor handsigniert. Zusätzlich erhält der Subskribent einen Farbdruck einer Vorarbeit aus der Werkstatt des chilenischen Malers Boris Eichin, der damals in Westdeutschland die Künstlerbrigade »Salvador Allende« mitgründete.

    Subskriptionsexemplar hier bestellen.

  • Eine Ausstellung im Kino Babylon

    Bomben auf die Moneda, die letzte Rede von Salvador Allende, Panzer in den Straßen von Santiago, Hinrichtungen im Nationalstadion – der Militärputsch in Chile war das erste politische Großereignis, an das wir uns seit unserer Kindheit bewusst erinnern. Der orchestrierte Staatsstreich erscheint uns als Blaupause für vieles, was seither immer wieder im Namen der Freiheit geschah. Dieser Putsch führte das Land in eine 17 Jahre dauernde Finsternis. Tausende – vornehmlich Menschen aus dem linken politischen Spektrum – wurden gejagt, inhaftiert, gefoltert oder ermordet. Viele blieben verschwunden. Millionen Menschen auf der ganzen Welt waren erschüttert und doch gleichzeitig solidarisch. Viele verfolgte Chileninnen und Chilenen fanden Zuflucht im Exil. Auch in der DDR und der BRD gab es eine große Solidaritätsbewegung, wenn auch durch ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich motiviert und initiiert. Mit der Ausstellung »El Pueblo unido – Erinnerungen an den 11. September 1973« des OK Projekts soll der Solidariät in dramatischer Zeit gedacht werden.

    Ausstellungseröffnung: 11. September um 18:30
    Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, 10178 Berlin

    Zur Ausstellung gibt es Filmdokumentationen mit Kunstschaffenden, online abrufbar unter dem Youtube-Kanal des OK Projekts

    Weitere Informationen: https://www.ok-projekt.de/

  • · Berichte

    Bildreportage: Aufbruch und Exil. Chile in der DDR und BRD

    Carlos Gomes

    Ich erinnere mich daran, in meiner Kindheit im Elternhaus die Lieder von Víctor Jara sowie von den exilchilenischen Musikgruppen Quilapayún und Inti-Illimani gehört zu haben. Auch wenn mir ihr tieferer Sinn erst einmal entging, bezauberten mich die Melodien, der leidenschaftliche Gesang und die Virtuosität der Gitarren- und Flötenspieler, die die Musikanlage wiedergab.

    Davon abgesehen, dass ich weiterhin revolutionäre chilenische Musik hörte, hatte ich mein Leben lang keinen besonderen Bezug zu Kultur und Geschichte des schmalen Andenstaats. Bis ich vor wenigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprojekts auf einige der chilebezogenen Gedenkstätten des Allende-Viertels in Berlin-Köpenick stieß: die Büste Salvador Allendes, die Gedichttafel zu Ehren Pablo Nerudas und die Statue vom musizierenden Víctor Jara.

    Vor dem Standbild Jaras stehend, hielt ich inne und hörte in meinem Kopf die Akkorde meiner Kindheits- und Jugendlieder. Die Zusammenhänge waren für mich allerdings noch nicht ganz klar. Ich fragte mich, warum im Pausenhof einer Köpenicker Schule der chilenische Musiker stand, den ich seit meiner Kindheit auf den Schallplattenhüllen meiner Eltern gesehen hatte. Ich beschloss, der Sache nachzugehen.

    Das Thema war fesselnd und ich befasste mich tiefer mit der Aufbruchstimmung im Chile der 1960er Jahre, dem Wahlsieg Allendes 1970, der brutalen Machtergreifung durch das Militär 1973 und dem darauffolgenden Exil Tausender Chileninnen und Chilenen. Allmählich schlossen sich einige Kreise: Ich begann die Anspielungen und Botschaften der Kampflieder genauer zu verstehen und begriff die enorme Bedeutung der Chile-Solidarität auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze und somit den Ursprung der Statuen, Büsten, Skulpturen, Gedenktafeln und Wandbilder zu Ehren der Opfer des Staatsstreichs.

    Zum 50. Jahrestag des Putsches erscheint nun dieses Buch. Es lädt Interessierte zu einer Zeitreise durch die deutsch-chilenische Geschichte ab den späten 1960er Jahren ein: von der Beziehung der sozialistischen Regierung Allendes zu BRD und DDR über die Unterdrückung der progressiven Kräfte in Chile und das Exil in beiden deutschen Staaten bis zum aktiven Widerstand gegen die Militärjunta während der 17 Jahre währenden Diktatur Augusto Pinochets. Der Leitfaden dieser Reise sind die in der DDR und BRD entstandenen Denkmäler und Wandbilder, in denen sich das Leid, der Kampfgeist und die Hoffnung der chilenischen Bevölkerung widerspiegeln.

    Dieser Beitrag erschien zuerst am 8. Juni in der Tageszeitung junge Welt.

  • Salvador Allende, chilenischer Präsident in Valparaiso, undatier
    Salvador Allende, chilenischer Präsident in Valparaiso, undatiert

    Am 11. Mai 2023 fand die ausverkaufte Auftaktveranstaltung in der Maigalerie der jungen Welt statt.

    Erinnert wurde an einen neuen Weg, der in drei großen Jahren, 1970 bis 1973, beschritten wurde. Einen friedlichen, parlamentarischen, unblutigen, den »chilenischen Weg«, auf dem zum ersten Mal in der Welt 1970 ein sozialistischer Präsident demokratisch gewählt wurde, der Arzt Dr. Salvador Allende. Der Glaube an den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, ohne Zerschlagung der alten Strukturen, erwies sich als tödlich. 40.000 Chileninnen und Chilenen wurden Opfer der Pinochet-Diktatur. Folterer und Mörder wurden nicht bestraft.

    Mit Gina Pietsch (Gesang) und Fabio Costa (Klavier).

    Rezension zur Veranstaltung in der jungen Welt vom 13.05.23