Kriegsdienst verweigert
Von Arnold SchölzelDie Organisatoren des Internationalen Literaturfestivals Berlin hatten am Dienstag unter dem Titel »Flucht und Frieden« eine Diskussionsrunde in das Haus der Berliner Festspiele eingeladen: Die Außenpolitikexpertin Petra Erler, die zusammen mit ihrem Mann Günter Verheugen jüngst das Buch »Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen: Eskalation statt Entspannung« vorgelegt hat, sowie den Migrationsforscher Gerald Knaus. Er hat vor einem Jahr den Band »Welche Grenzen brauchen wir? Zwischen Empathie und Angst – Flucht, Migration und die Zukunft von Asyl. Wie eine humane Migrations- und Asylpolitik gelingen kann« veröffentlicht. Als dritte war in die Runde Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik bestellt worden – keine Buchautorin. Die Moderation übernahm der Journalist Jörg Thadeusz.
Die Zusammenstellung war seltsam, der Debattenverlauf im Hinblick auf Major, die zum Kartell der westlichen Kriegsfreundinnen gehört, geplant: die Positionen Erlers, also auch Verheugens, angreifen. Erler kam in ihrem ersten Beitrag auf Fluchtursachen zu sprechen – Kriege, Armut, Klima – und erklärte, die »Kriegswurzel« müsse gekappt werden, riet, der Wissenschaft zu folgen und die einst von Albert Einstein angeregte Weltuntergangsuhr ernst zu nehmen: Sie steht auf 90 Sekunden vor zwölf. Die EU, meinte sie, könne in dieser Situation ein Zeichen setzen und sich zum Friedenspartner machen. Später fügte sie hinzu, der Westen habe eine Mitverantwortung beim Ukraine-Krieg. Die Chance sei verpasst worden, das nötige Sicherheitssystem für alle Staaten zu schaffen. Vieles von dem, was jetzt dazu gesagt werde, stimme nicht: Den ABM-Vertrag kündigten die USA 2002 einseitig, die ersten Schüsse im georgischen Krieg 2008 habe die Regierung in Tbilissi befohlen, zum NATO-Beitrittsangebot an Georgien und die Ukraine habe Angela Merkel gesagt, das sei für Wladimir Putin eine »Kriegserklärung« gewesen.
Erlers Position wurde insbesondere von Major als Verweigerung von nötigem Kriegsdienst bewertet: Russland sei auf einem Vernichtungsfeldzug, verschleppe systematisch Kinder, lasse vergewaltigen usw. Wenn der Westen tatsächlich auf Russlands Ruin aus sei, hätte er längst »Taurus« geliefert. Neues brachte die Majorsche Gebetsmühle nicht. Der französische Schriftsteller, der sich Vercors nannte, meinte einst zum Auftritt Brechts 1947 vorm Ausschuss für unamerikanische Umtriebe, da sei ein Zoologe von Affen vernommen worden.
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