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Aus: Ausgabe vom 19.09.2024, Seite 8 / Inland
Repressive Migrationspolitik

»Schutzgesuche werden systematisch ›überhört‹«

Migrationspolitik: Zurückweisungen von Geflüchteten sind rechtswidrig. Ein Gespräch mit Wiebke Judith
Interview: Katharina Schoenes
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Bereit für Pushbacks: Polizist an der deutsch-österreichischen Grenze in Walsberg (17.9.2024)

In der aktuellen Diskussion über Grenzkontrollen wird der irreführende Eindruck vermittelt, Asylsuchende könnten sich bislang in der EU frei bewegen. Dabei finden Zurückweisungen schon jetzt massenhaft statt. Zuletzt hat eine parlamentarische Anfrage ergeben, dass sich deren Zahl im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast verdoppelt hat. Wie ordnen Sie das ein?

Es ist ziemlich schockierend, dass wir diese steigenden Zahlen von Zurückweisungen haben, aber immer noch wenig darüber wissen, was genau an den Binnengrenzen passiert. Es ist schwierig, Betroffene von Zurückweisungen zu finden und mit ihnen gemeinsam zu klären: Haben sie wirklich kein Asyl gesucht oder hat die Bundespolizei ihr Asylgesuch ignoriert? Fakt ist, dass sehr viele Menschen zurückgewiesen werden, die aus Asylherkunftsländern kommen, etwa aus Syrien und Afghanistan. Wir vermuten, dass die Bundespolizei systematisch Schutzgesuche »überhört« oder es zumindest versäumt, die Menschen angemessen über die Möglichkeit der Asylantragstellung aufzuklären. Das allein ist eigentlich schon ein Skandal. Diese Praxis müsste beendet werden, anstatt sie weiter auszudehnen.

Sie haben es angesprochen: Vieles deutet darauf hin, dass die Bundespolizei auch Asylsuchende zurückweist, obwohl das rechtlich nicht zulässig ist.

Der Grund liegt im sogenannten Dublin-System, an dem wir als Pro Asyl viel Kritik haben. Denn es handelt sich um ein Zwangssystem, das Geflüchteten vorschreibt, in welchem EU-Staat sie ihr Asylverfahren durchlaufen müssen, ohne Rücksicht auf soziale Bindungen oder Sprachkenntnisse der Betroffenen zu nehmen. Aber eine gute Sache hat »Dublin«: Es stellt sicher, dass für jeden Geflüchteten am Ende tatsächlich ein Staat zuständig ist – und dass dieser Staat in einem rechtssicheren Verfahren bestimmt wird. Das bedeutet, dass die Asylsuchenden die Möglichkeit haben, darauf hinzuweisen, wenn sie etwa im Ersteinreisestaat auf der Straße leben mussten oder wenn sie dort schwerste Menschenrechtsverletzungen wie brutale Pushbacks erlebt haben. Außerdem können sie gegen die Zuständigkeitsentscheidung vor einem Gericht klagen. All das wird bei direkten Zurückweisungen an der Grenze umgangen. Deshalb sind diese eindeutig rechtswidrig.

Innenministerin Nancy Faeser hat nun stationäre Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet und will Zurückweisungen »massiv ausweiten«. Was ändert sich dadurch?

Es ist besorgniserregend, wenn dieses potentiell rechtswidrige Vorgehen an den Grenzen zu Österreich, Tschechien oder Polen jetzt auf alle Landgrenzen ausgeweitet wird. Wir befürchten, dass die Bundespolizei künftig vermehrt sogenannte Dublin-Fälle, also Geflüchtete, die in einem anderen EU-Staat bereits registriert sind, in Haft nimmt, um sie anschließend in einem beschleunigten Verfahren zu überstellen. In Bayern passiert das bereits. Menschen aus dem Grund zu inhaftieren, weil sie in Deutschland Schutz suchen, ist rechtswidrig. Wir werden genau beobachten, wie sich die Situation an den Grenzen in der nächsten Zeit entwickelt. Außerdem werden wir prüfen, ob wir gemeinsam mit Betroffenen dagegen klagen können.

Vergangene Woche hat der ungarische Regierungschef Viktor Orbán Bundeskanzler Olaf Scholz beim Kurznachrichtendienst X im »Klub der Abschotter« willkommen geheißen. Was sagt das über die Asylpolitik der Ampel?

Es gibt immer mehr Regierungen in der EU, die das Thema Asyl gezielt einsetzen, um die Bevölkerung zu spalten, um Hass anzustacheln und auch, um gegen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu schießen. Das beginnt beim Thema Asyl, hört da aber nicht auf. Als nächstes geht es um die Rechte von LGBTIQ, dann um Frauenrechte und um das Abtreibungsrecht. Für all das steht Orbán. Ein Glückwunsch von ihm müsste für einen sozialdemokratischen Kanzler eigentlich wie eine Ohrfeige wirken.

Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin bei Pro Asyl

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