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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 2 / Ausland
Ukraine-Krieg

Polen ärgert Ukraine

Vorschlag für Krimreferendum löst Wutanfälle aus. Von der Leyen in Kiew
Von Reinhard Lauterbach
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Fass! Ein Bombensuchhund in Kiew zur Absicherung des Besuchs von Ursula von der Leyen am Freitag

Die Ukraine hat einen Vorschlag des polnischen Außenministers Radosław Sikorski zur Zukunft der Krim scharf zurückgewiesen. Die Krim gehöre zur Ukraine, darüber gebe es nichts zu diskutieren, erklärte etwa der Führer der krimtatarischen Minderheit, Refat Tschubarow. Es sei zynisch, wenn Sikorski dies jetzt unter dem Vorwand der Kompromisssuche in Frage stelle. Auch Russland erklärte, die Frage, wem die Krim zugehöre, sei seit 2014 abschließend geklärt.

Sikorski hatte, wie erst jetzt öffentlich bekannt wurde, auf der Konferenz der »Yalta European Strategy« am vergangenen Wochenende in Kiew bei einer Podiumsdiskussion vorgeschlagen, die Krim für bis zu 20 Jahre unter UN-Protektorat zu stellen. Dann solle ein Referendum darüber entscheiden, wer legitimer Einwohner der Halbinsel sei. Zuvor müsse die Krim aber demilitarisiert werden.

Ob Sikorskis Aussage ernst gemeint ist, ist fraglich. Sie ist vermutlich eher Teil einer polnischen Strategie, von der Ukraine Zugeständnisse in einer bilateral wichtigen historischen Angelegenheit zu erwirken. Es geht um die Exhumierung und Umbettung polnischer Opfer eines Massakers in der Westukraine während des Zweiten Weltkriegs. Damals waren mindestens 60.000 polnische Bewohner der Region Wolynien Angriffen ukrainischer Nationalisten zum Opfer gefallen. Die Ukraine hält die »Ukrainische Aufstandsarmee« (UPA), die diese Morde verübt hat, seit dem »Euromaidan« in hohen Ehren und verweigert jede Distanzierung von ihren Aktivitäten. Polen hat bereits angedroht, die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Ukraine zu bremsen, wenn sich Kiew an dieser Stelle nicht bewegen sollte.

In der ukrainischen Hauptstadt hielt sich am Freitag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf. Sie wollte bei ihrem bereits achten Besuch dort mit deren Führung über Hilfsmaßnahmen für das durch russische Angriffe stark beschädigte ukrainische Energiesystem sprechen. Außerdem sagte sie 160 Millionen Euro an »Winterhilfe« für Binnenflüchtlinge zu. Nach einem Bericht der UNO drohen der Ukraine in der kalten Jahreszeit Stromabschaltungen an bis zu 18 Stunden pro Tag. Die russischen Angriffe hätten 73 Prozent der Wärmekraftwerke und 20 Prozent der Wasserkraftwerke zerstört. In der Nacht zum Freitag flog eine russische »Schahed«-Drohne vermutlich demonstrativ dicht am ukrainischen Atomkraftwerk Chmelnizkij vorbei und explodierte an anderer Stelle der Stadt.

Von der Front werden weitere Geländegewinne Russlands im Donbass gemeldet. Erstmals seit Monaten gab es offenbar auch wieder Vorstöße russischer Truppen an der südlichen Front. Nach ukrainischen Angaben griffen russische Einheiten die Stadt Guljajpole im Bezirk Saporischschja an. Aus dem Kursker Gebiet meldet Moskau erfolgreiche Gegenstöße entlang der ukrainisch-russischen Grenze mit dem Ziel, die Truppen Kiews weiter nördlich zum Rückzug zu zwingen. Aus Kiew wurden diese Berichte nicht kommentiert.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. September 2024 um 13:36 Uhr)
    Sikorskis Äußerungen sollte man nicht allzu ernst nehmen. Er äußert sich regelmäßig impulsiv und ohne ausreichendes Nachdenken. Es war derselbe Sikorski, der nach der Sabotage der Nord Stream-Pipeline auf Twitter schrieb: »Danke, USA«, nur um den Tweet später zu löschen. Seine neueste »Offenbarung« lässt auch zu wünschen übrig: Historisch gesehen gehörte die Krim nie zur Ukraine. Verwaltungstechnisch wurde sie 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukrainischen Sowjetrepublik übergeben – ein Geschenk im Rahmen interner sowjetischer Politik. Wenn wir jedoch über die Ukraine sprechen, müssen wir anerkennen, dass der junge Staat seit seiner Unabhängigkeit 1991 mit großen strukturellen Problemen zu kämpfen hatte. Die Ukraine hat es nicht geschafft, eine Elite zu formen, die imstande wäre, die langfristigen geopolitischen Interessen des Landes zu vertreten. Stattdessen war die Politik ständig zwischen pro-russischen und pro-westlichen Interessen zerrissen. Ein weiteres alarmierendes Zeichen für die inneren Probleme ist der demografische Wandel: Seit 1991, als die Ukraine über 50 Millionen Einwohner zählte, ist die Bevölkerung auf etwa 40 Millionen im Jahr 2019 gesunken – und das vor Beginn des Krieges 2022. In Friedenszeiten verließen etwa 10 Millionen Menschen, vor allem gut ausgebildete junge Bürger, das Land. Das spricht für tieferliegende, ungelöste wirtschaftliche und politische Probleme, die die Ukraine nicht in der Lage war, zu lösen. Der Lebensstandard konnte mit dem der Sowjetzeit nicht Schritt halten, und in der kurzen Geschichte der unabhängigen Ukraine hat es keine Regierung geschafft, eine wirklich unabhängige Politik zu entwickeln, die den spezifischen Interessen der Ukraine gerecht gewesen wäre.

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