Ein Booster für Bayer & Co.
Von Jan PehrkeAuf keinem anderen Feld betreibt die Ampelkoalition so entschieden Industriepolitik wie im Pharmabereich. Die Branche hatte nämlich Handelsbedarf angemeldet. »Die europäischen Regierungen versuchen, Anreize für Forschungsinvestitionen zu schaffen, aber auf der kommerziellen Seite machen sie uns das Leben schwer«, klagte etwa Bayers Arzneivorstand Stefan Oelrich. Seine Kollegen äußerten sich ähnlich, und das Bundeskanzleramt hörte die Signale. Es lud nach Informationen der FAZ ein Dutzend Konzernchefs aus aller Welt zum Meinungsaustausch nach Berlin ein. »Man sprach über Medikamente und geostrategische Sicherheit, über Innovation und Wertschöpfung, über den Zusammenhang von Arzneimittelerstattung und Standortattraktivität«, berichtete das Blatt im Juli.
Und den Worten folgten Taten bzw. die »Pharmastrategie«. Deren Herzstück, das Medizinforschungsgesetz, winkte der Bundesrat am Freitag durch. Es soll, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den hiesigen Pharmastandort so stärken, dass er »in einigen Jahren an die Vereinigten Staaten anschließen kann« und Deutschland »ein Gigant in der Medizinforschung« wird.
Das Paragraphenwerk sieht unter anderem vor, die Durchführung von Arzneimitteltests zu erleichtern, indem es die Genehmigungs- und Bearbeitungszeiten »vereinfacht, entbürokratisiert und beschleunigt« – natürlich »bei gleichzeitiger Wahrung der hohen Standards für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten«. Unter anderem entmachtet Lauterbach dazu die Ethikkommissionen von Universitätskliniken, Ärztekammern und Landesbehörden. Statt dessen schafft er zur Begutachtung der klinischen Prüfungen eine zentrale Ethikkommission und siedelt diese direkt beim ihm unterstellten »Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte« (BfArM) an.
Besondere Schmankerl hält Medizinforschungsgesetz darüber hinaus für solche Firmen bereit, die am Standort Deutschland in nennenswerter Weise Forschung betreiben. Diese Unternehmen dürfen künftig die Preise, die sie mit den Krankenkassen für ihre neuen Medikamente aushandeln, unter Verschluss halten. Zwischen den ausgewiesenen und den tatsächlichen Preisen liegen nämlich kleine Welten bzw. Rabatte. Und die Höhe dieser Abschläge kann jetzt geheim bleiben. »Der Hintergrund dafür ist, dass die öffentlich bekannten, stark rabattierten deutschen Preise bisher als Referenz für andere Länder dienten. Das beschnitt aus Sicht der Hersteller ihre Verhandlungsspielräume in anderen Staaten, weshalb sie auf Vertraulichkeit drangen«, erläuterte die FAZ.
Damit nicht genug, reißt das Medizinforschungsgesetz die Leitplanken ein, die das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 für die Preise von neuen Pharmazeutika mit gar keinem oder nur geringen Zusatznutzen aufgestellt hatte. Diese müssen sich jetzt nicht mehr an den Kosten der Vergleichstherapie orientieren und können wieder Richtung Mond gehen.
Eine gute Nachricht für Big Pharma und ihre »Schrittinnovationen« und eine schlechte für die Krankenkassen. Sie fürchten enorme Mehrausgaben für Medikamente und kritisieren die neuen Regelungen deshalb stark. Für den stellvertretenden AOK-Vorsitzenden Jens Martin Hoyer etwa »ist die Wirtschaftsförderung für den Pharmastandort Deutschland keine Aufgabe der Beitrag zahlenden Versicherten«. Der »Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen« übte ebenfalls Kritik. »Bestrebungen, das System der dezentralen Ethikkommissionen in Deutschland abzuschaffen, (…) sind politisch, rechtlich und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen«, hieß es in einer Erklärung. So sieht der Arbeitskreis beispielsweise die Unabhängigkeit des neuen Gremiums bedroht, wenn es an das BfArM angegliedert ist.
Die FAZ aber rief das »neue deutsche Pharmawunder« aus und verwies dabei auf milliardenschwere Investitionen der Hersteller bereits vor Verabschiedung des Medizinforschungsgesetzes. Die Branche indes weiß, was sich gehört, und zeigt sich erkenntlich. »Heute ist einfach mal der Tag, ›Danke‹ zu sagen«, mit diesen Worten begrüßte Markus Steilemann in seiner Funktion als Vorsitzender des »Verbandes der Chemischen Industrie« Bundeskanzler Olaf Scholz am 12. September auf dem »Chemie & Pharma Summit 2024«.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. September 2024 um 10:41 Uhr)Der Bundesrat segnet das Medizinforschungsgesetz ab. Man sprach über Medikamente und geostrategische Sicherheit, Innovation und Wertschöpfung sowie den Zusammenhang von Arzneimittelerstattung und Standortattraktivität. Wobei, das war wohl kaum nötig: Die Pharmaindustrie hat bereits ein beeindruckendes Arsenal an Medikamenten entwickelt – es fehlen nur noch die passenden Krankheiten. Aber keine Sorge, der Fortschritt wird nicht auf sich warten lassen. Bei einer alternden Gesellschaft entdeckt die Forschung sicher bald ein paar neue Krankheiten, die genau zu den teuren Präparaten passen werden!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Reinhard H. aus Magdeburg (30. September 2024 um 20:11 Uhr)Danke. Man könnte es nicht besser formulieren. Der Selbstbedienungsladen – Pharmaindustrie – Preisgestaltung ohne Kontrolle. Den »Staat« erfreut diese willkürliche Preisgestaltung. Oben gibt’s immer noch einen drauf – die 19% Erfindungssteuer. Somit ist immer genügend Geld im Säckel – z. B. für EU- und NATO-Osterweiterung – und für Panzer, Haubitzen und Granaten. Eben alles für die Kriegstüchtigkeit. Diese Art der gewollten und unkontrollierten Preisgestaltung trifft auch auf andere Branchen wie z. B. die der Energieerzeugung zu. Im Jahr 2001 bezahlten wir Bürger in DE für die kWh noch rd. 20 Pfennige (10 Cent). Heute sind es bereits zwischen 40 bis 50 Cent/kWh. D. h., der Preis pro kWh hat sich in 22 Jahren verfünffacht. Dank Umlagen, Umlagen, Steuern, Steuern etc. plus Netzentgelte plus 19% MwSt. Dabei sollte man wissen, die Betriebskosten pro kWh betragen 4 Cent. Selbst unter Berücksichtigung der Netzentgelte, die früher im Preis inbegriffen waren, und plus Margen und plus 19 Prozent Erfindungssteuer würde man auf einen fairen Preis von 15 Cent/kWh kommen und dabei würden alle, einschließlich Staatskasse, auch auf ihre Kosten – sprich Gewinne – kommen. So ähnlich ist es auch mit der Preisgestaltung für Pharmaka. Im Ergebnis schnellten die Kosten für die Behandlung von Patienten in exorbitante Höhen und die Krankenhäuser können die Betriebskosten mit den zugewiesenen Mitteln nicht mehr decken. Für überteuerte E-Autos bleibt da auch für den Bürger nichts übrig. Wenn alle, alle Bürger, die über ein Einkommen verfügen, vom Beamten bis zum Vorstandsvorsitzenden – mit 10 Mio. € Jahreseinkommen – in die Sozialkassen – und ohne Beitragsbemessungsgrenzen – einzahlen müssten, dann gebe es keine Defizite in der Kranken- und Rentenkasse. Im Gegenteil, dann könnten die Beiträge angemessen gesenkt werden. Ein Segen – für AG und AN. In der CH und in Österreich funktioniert dieses Modell. Nur nicht in DE. Weil die Politiker zu schwach und die Lobbyisten zu stark sind.
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