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Aus: Ausgabe vom 05.11.2024, Seite 7 / Ausland
Türkei und Kurden

Geraubte Rathäuser

Türkei: Regierung setzt kurdische Bürgermeister ab und übergibt Städte an Treuhänder. Linke Partei spricht von »Putsch« gegen den Wählerwillen
Von Nick Brauns
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Protesterklärung verlesen: Der Vorsitzende der städtischen Anwaltskammer, Abdulkadir Güleç, am Montag in Diyarbakır

Nicht in Worten, aber in Taten hat die türkische Regierung jüngsten Spekulationen über einen neuen Lösungsprozess für die kurdische Frage eine Absage erteilt. Auf Weisung des Innenministeriums wurden am Montag die Bürgermeister von drei Städten im kurdischen Südosten des Landes für abgesetzt erklärt. Die Verwaltung der Provinzhauptstädte Mardin und Batman sowie der Kreisstadt Halfeti bei Şanlıurfa wurde Regierungsbeamten unterstellt. Über die betroffenen Provinzen wurde ein zweiwöchiges Demonstrationsverbot verhängt. Die Polizei umstellte die Rathäuser und ging gewaltsam, auch unter Einsatz von Wasserwerfern gegen Proteste aus der Bevölkerung vor.

Der Bürgermeister von Mardin, der 81jährige Veteran der kurdischen Politik Ahmet Türk, war im März mit 57,4 Prozent der Stimmen gewählt worden. Die 31jährige Bürgermeisterin von Batman, Gülistan Sönük hatte sich damals mit 64,52 Prozent deutlich gegen einen Kandidaten der islamistischen Hüda-Par durchgesetzt.

In Halfeti wurde Bürgermeister Mehmet Karayılan nach seiner Absetzung festgenommen. Alle drei Politiker der linken prokurdischem DEM-Partei seien wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans PKK – verurteilt worden, hieß es zur Begründung ihrer Absetzung aus dem Innenministerium. So war Türk im Mai in dem als Kobani-Verfahren bekannten Schauprozess erstinstanzlich zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil ist bislang ebenso wenig rechtskräftig wie die Verurteilungen von Sönük und Karayılan. Die DEM Partei sprach von einem »Putsch« gegen den Wählerwillen. Auf X erklärte Türk: »Wir werden keinen Schritt im Kampf für Demokratie, Frieden und Freiheit weichen. Wir werden nicht zulassen, dass der Wille des Volkes usurpiert wird.«

Schon in den vergangenen zwei Legislaturperioden waren fast alle der von der DEM-Vorgängerin HDP regierten Städte und Gemeinden unter staatliche Treuhandschaft gestellt worden. Bei den letzten Kommunalwahlen gelang es der DEM, den Großteil dieser Orte zurückzuerobern und ihr Ergebnis auf 78 Rathäuser zu verbessern. Ein erster Versuch der Regierung, direkt nach dem Abstimmungstag die Wahl des Bürgermeisters von Van zu annulieren, scheiterte noch an Massenprotesten. Doch wenig später wurde der Bürgermeister von Hakkari in einem seit zehn Jahren laufenden Prozess wegen PKK-Mitgliedschaft zu Haft verurteilt und durch einen Treuhänder ersetzt.

Mit Ahmet Özer, dem Bezirksbürgermeister der Stadt Esenyurt westlich von Istanbul, ist in der vergangenen Woche erstmals ein Politiker der kemalistischen Oppositionspartei CHP abgesetzt und durch einen Zwangsverwalter ersetzt worden. Dem kurdischstämmigen Özer, der mit Stimmen der DEM gewählt wurde, wird ebenfalls PKK-Mitgliedschaft unterstellt. Als Beleg werden von Seiten der Ermittlungsbehörden angebliche Telefonate Özers mit PKK-Kadern angeführt.

Die CHP begann am Montag nachmittag eine Demokratiemahnwache vor dem Rathaus von Esenyurt. Zuvor hatte die Polizei die Stadträte der Partei daran gehindert, den Fraktionsraum zu betreten und Sperren rund um das Gebäude errichtet. »Wenn diejenigen, die die Gemeinde Esenyurt mit Eisenbarrieren blockiert haben, die Grenzen dieses Landes schützen könnten, gäbe es heute keine Flüchtlingskrise in der Türkei«, protestierte der Istanbuler CHP-Provinzvorsitzende Özgür Çelik auf der Mahnwache mit chauvinistischem Zungenschlag gegen das Vorgehen der Polizei.

Die Verhaftung Özers erscheint als Versuch der Regierung, einen Keil in die zaghafte Kooperation der beiden Oppositionsparteien CHP und DEM zu treiben. Mit gewissem Erfolg: Während sich der Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, hinter Özer stellte, gingen mehrere CHP-Politiker vom rechten, nationalistischen Parteiflügel auf Distanz. Er halte es für falsch, sich an die Seite von Vertretern einer Struktur zu stellen, die »unseren Tag der Republik nicht feiern«, warf etwa der Oberbürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, am Montag auf X der Stadtverwaltung von Esenyurt mangelnden Patriotismus vor.

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