»Zwangsräumungen sind ein Alptraum«
Von Ralf WurzbacherIm Fall eines Tötungsdelikts am Donnerstag in Esslingen verdichten sich die Hinweise auf eine Verzweiflungstat aufgrund von Mietstreitigkeiten. In der Kreisstadt südöstlich von Stuttgart hatten sich am Donnerstag in den frühen Morgenstunden dramatische Szenen abgespielt: Das Dachgeschoss eines Mehrparteienhauses brannte, eine junge Frau rettete sich mit einem Sprung aus dem Fenster und zog sich dabei schwere Verletzungen zu. Schließlich fanden Einsatzkräfte im Inneren die Leichen zweier Männer. Dabei soll es sich um den 31jährigen Sohn des Eigentümers handeln und einen 61jährigen Mieter. Beide kamen wohl durch Schüsse zu Tode, mutmaßlich durch den Älteren.
Nach Erkenntnissen von Polizei und der Stuttgarter Staatsanwaltschaft war dessen Mietvertrag schon seit längerem gekündigt und für den Folgetag die Zwangsräumung anberaumt. In der Vergangenheit soll es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen dem Bewohner und dem 76 Jahre alten Hausbesitzer gekommen sein. Dieser wurde nach Behördenangaben von der Feuerwehr mit einer Drehleiter von einem Balkon in Sicherheit gebracht. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mieter das Gebäude in Brand gesetzt, den Sohn des Eigentümers getötet und danach sich selbst erschossen hat. Passend dazu hätten Anwohner in der Frühe Explosionen und Knallgeräusche gehört, berichtete der Südwestrundfunk (SWR). Aufgrund der zunächst unklaren Ursache waren Entschärfer des Landeskriminalamts und Spezialkräfte der Polizei vor Ort.
Die Staatsanwaltschaft hat die Obduktion der Leichen angeordnet. Auch seien mögliche Tatwaffen gefunden worden. »Das ist eine ganz traurige Zeit hier bei uns in der Stadt«, wurde Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) zitiert. Erst im Oktober hatte es in Esslingen einen tragischen Unfall gegeben: Seinerzeit war ein Autofahrer auf einen Gehweg geraten und hatte eine 39jährige Mutter und ihre zwei kleinen Söhne erfasst. Alle drei starben noch an der Unglücksstelle. Bei den Löscharbeiten am Donnerstag wurden auch Nachbargebäude in Mitleidenschaft gezogen und sind vorerst unbewohnbar. Den Leidtragenden bot die Stadt medizinische und psychologische Unterstützung an.
Eskalierende Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Räumungsbeschlüssen sind keine Seltenheit. So hatte sich zu Jahresanfang in Unterkirnach im Schwarzwald ein Mann in seiner Wohnung verschanzt und damit gedroht, das Haus anzuzünden. Ein Großaufgebot der Polizei konnte Schlimmeres verhindern. In Köln-Wahnheide verbarrikadierte sich im September ein Bewohner im Keller eines Hauses und legte Feuer, konnte aber gerettet werden. Auch er sollte zwangsweise seine Wohnung verlassen, der Gerichtsvollzieher war bereits vor Ort. In Berlin- Spandau setzte ein 62jähriger im Sommer 2023 seinem Leben ein Ende, nachdem er sich stundenlang unter Waffen in seiner Wohnung eingesperrt hatte.
Nicht selten werden zu den Vollstreckungen vorsorglich Polizeikräfte hinzugezogen in der Erwartung, dass die Bedrängten mit Kurzschlusshandlungen reagieren. In einem Beitrag zum Thema beschreibt der Berliner Mieterverein die Stimmungslage von Betroffenen: »Herzrasen, Bluthochdruck, Schlafstörungen – wer zwangsgeräumt wird, durchlebt einen Alptraum.« Manche griffen zu Gewalt gegen andere oder sich selbst, »die meisten jedoch fügen sich still und verschwinden«. Wegen der vielerorts exorbitant gestiegenen Mieten haben Zwangsräumungen in jüngeren Jahren zahlenmäßig erheblich zugenommen. Bundesweit waren es 2022 mindestens 27.319 Fälle, wie Linke-Politikerin Caren Lay bei der Bundesregierung in Erfahrung brachte.
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