»Das Land wird zu einem Megagefängnis«
Interview: Thorben Austen, QuetzaltenangoWährend des Besuches von US-Außenminister Marco Rubio in El Salvador Anfang dieser Woche hat Präsident Nayib Bukele nicht nur zugesagt, abgeschobene Migranten aus anderen Ländern ins Land zu lassen, sondern auch angeboten, in den USA verurteilte Gefangene, sogar US-Bürger, in Gefängnissen in El Salvador unterzubringen. Was bedeutet dieser Vorschlag?
Für Bukele ist es vor allem ein Geschäft. Er spekuliert auf die Einnahmen, wenn er Kriminelle aus den USA nach El Salvador holt. El Salvador ist ein zusammengebrochenes Land, Bukele gibt große Summen für Image- und Werbekampagnen für sich selbst aus, daher sucht er Einnahmen. Das Land verwandelt sich immer mehr in ein Megagefängnis. Der Präsident behauptet, die kriminellen Banden zerschlagen zu haben, das ist aber nicht so. Führende Köpfe der Banden laufen weiter herum und wurden sogar freigelassen. Trump selbst hat Bukeles Sicherheitspolitik vor ein paar Wochen öffentlich als Betrug bezeichnet, auch vor dem Hintergrund, dass führende Bandenmitglieder in die USA gekommen sind.
Laut einer Statistik vom August 2024 befinden sich in El Salvador 1.086 von 100.000 Einwohnern in Haft. Das sind im Verhältnis so viele wie in keinem ande0ren Land der Welt. Wie ist die Situation in den Gefängnissen?
Sehr ernst. Es fehlen Medikamente und Nahrung in den Gefängnissen, es gibt viele Todesfälle. Bukele respektiert weder die Verfassung noch Menschenrechte und auch keine richterlichen Entscheidungen. Richter haben die Freilassung zahlreicher unschuldig Inhaftierter angeordnet, der Präsident weigert sich aber, sie freizulassen. Es ist anzunehmen, dass sich die Situation in den Gefängnissen noch verschärft, wenn es zu den angekündigten Aufnahmen von Gefangenen aus den USA kommt.
Sie kritisieren den Ausnahmezustand seit seinem Beginn im Frühjahr 2022. Die Mordrate ist aber deutlich zurückgegangen. Ist das kein Fortschritt, gerade für die arme Bevölkerung, die unter den Banden leidet?
Es stimmt, dass das Leben heute etwas sicherer vor Bandengewalt geworden ist. Dafür ist aber der Ausnahmezustand selbst zur Gefahr geworden. Tausende junge Leute aus armen Stadtteilen sind inhaftiert, obwohl sie nichts mit den Banden zu tun hatten. Sich juristisch dagegen zu wehren, ist fast unmöglich, die Einsatzkräfte treten im Ausnahmezustand als Richter und Polizisten in einem auf. Es werden auch Menschen verhaftet, die sich Bukeles Megaprojekten im Tourismus entgegenstellen, weil sie nicht zwangsumgesiedelt werden wollen.
Trump will nach Presseangaben mindestens 230.000 Salvadorianer abschieben. Was würde dies wirtschaftlich und sozial für das Land bedeuten?
Das wäre fatal. Die Bevölkerung lebt zu einem großen Teil von den Rücküberweisungen von Angehörigen aus den USA. Bukele stellt das allerdings anders dar. Er behauptet, viele Salvadorianer würden jetzt freiwillig zurückkehren, um Entwicklung und Fortschritt zu erleben, den er dem Land gebracht habe. Ich weiß nicht, wo dieser Fortschritt sein soll. Es gibt heute mehr Armut, weniger Investitionen in Sozialprogramme, Gesundheit und Bildung. Die Migranten kämen in ein Land zurück, das schlechter dasteht als zu dem Zeitpunkt, an dem sie weggegangen sind.
Bukele sucht die Nähe zu Trump, aber auch zum argentinischen Präsidenten Javier Milei. Was erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Bukele kürzt in Bildung und Gesundheit, reduziert den Staat und die öffentlichen Ausgaben. Die Gemeindereform 2024 reduzierte die Landkreise von 262 auf 44. Daher gibt es heute auch nur 44 Bürgermeister im Land, die weiter von regionalen Problematiken entfernt sind. Gleichzeitig gibt er immer mehr Geld für Polizei und Armee aus, es scheint, als würde er für einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung aufrüsten. Noch hat er Rückhalt, aber seine Popularität lässt nach. Bukele gibt Geld für Prestigeprojekte aus und schiebt seiner Familie und seinen engsten Freunden Aufträge zu. Im Moment hat er die absolute Macht im Land, aber ich denke, es werden immer mehr Menschen merken, dass es ein Fehler war, ihm diese Macht zu geben.
Samuel Ramírez ist Koordinator der Bewegung der Opfer des Ausnahmezustandes (Movir) in El Salvador
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