»Statt eines Notarztes schickten sie die Polizei«
Interview: Yaro Allisat![EUROPE-MIGRANTS-BULGARIA-TURKEY.JPG](/img/450/205188.jpg)
Ende Dezember 2024 starben drei junge Ägypter bei dem Versuch, die Grenze von der Türkei nach Bulgarien zu überqueren. In einem Bericht machen Sie nun die bulgarische Grenzpolizei dafür verantwortlich. Was passierte damals?
Ich war in Bulgarien, als wir sehr früh am Morgen des 27. Dezember, gegen ein Uhr, den Anruf erhielten, dass drei Minderjährige in einem Wald nahe der Grenze in Not seien. Weil die Situation ernst war, haben wir sofort die 112 angerufen. Wir alarmierten sie, dass mindestens zwei der Minderjährigen zu erfrieren drohten. Schon in der Vergangenheit wurde, wenn wir den Notruf riefen, anstatt eines Rettungswagens die Grenzpolizei geschickt. Sobald jemand im Wald in Gefahr ist, gehen sie davon aus, dass es sich um Geflüchtete handelt. Und die wollen sie nicht medizinisch versorgen. Wir wollten sicherstellen, dass die Menschen die notwendige Versorgung bekommen. Also haben wir versucht, den Ort der Personen zu erreichen, worüber wir auch den Notruf in Kenntnis setzten. Wir schickten zwei separate Teams. Beide wurden auf dem Weg von der Polizei abgefangen und gezwungen, umzudrehen.
Sie persönlich waren in solch einem Team dabei?
Ich war Teil des zweiten Teams. Wir fanden den toten Körper von Ahmed Samra. Es war mitten in der Nacht. Die Polizei kam, nachdem wir zwei Stunden lang im Schnee gewartet hatten. Dann mussten wir noch mehrere Stunden auf die Kriminalpolizei warten. Sie versuchten, uns zu überreden, die Leiche ins Auto zu laden. Das verweigerten wir. Die Leute vom anderen Team fanden schließlich den toten Körper von Ahmed Elawdan am 28. Dezember, wurden ebenfalls gezwungen, den Körper ins Auto der Polizei zu laden und hatten keine Möglichkeit, nein zu sagen. Ein anderes Team fand die Leiche von Seifalla Elbeltagy am 29. Dezember.
Haben Sie so etwas zuvor schon mal erlebt?
Ja. Das ist kein Einzelfall. Es ist Teil eines Musters systematischer Nachlässigkeit seitens der Grenzpolizei und der Armee, die auch an der Grenze vor Ort ist. Sie haben kein Interesse daran, Menschen auf der Flucht zu helfen, im Gegenteil. Das hängt mit politischen Dynamiken zusammen. In Bulgarien wie in Kroatien haben wir bei jedem Schritt des Schengen-Beitrittsprozesses eine zunehmende Präsenz von Grenzpolizei und Soldaten an der Grenze festgestellt. Sie »schützen« ihre Grenzen, um zu zeigen, dass sie würdig genug sind, in die EU aufgenommen zu werden. Am 1. Januar trat Bulgarien schließlich dem Schengen-Raum bei, und wieder einmal wurden Tausende neue Grenzpolizisten und Soldaten an der Grenze stationiert. Es ist etwas völlig Normales, dass man Menschen daran hindern muss, in sein Land einzureisen und um Asyl zu bitten, wenn man Teil der EU sein will.
Auch Pushbacks durch die Polizei sind eine gewaltsame Taktik, die überall in Europa angewendet wird, obwohl sie illegal ist. Der bulgarische Premierminister sagte kürzlich, dass 175.000 Menschen am Grenzübertritt nach Bulgarien gehindert wurden.
Wer trägt die Verantwortung dafür?
In den wenigen Fällen, in denen es Untersuchungen nach solchen Fällen gab, wurden einzelne Länder zur Verantwortung gezogen. Aber alles ist Teil eines größeren politischen Zusammenhangs mit der EU. Deshalb sind wir der Meinung, dass alle EU-Länder zur Rechenschaft gezogen werden sollten.
Wie könnte die Situation verbessert werden?
Zunächst einmal sollte es eine unabhängige Untersuchung über den Tod dieser drei Menschen an der Grenze geben. Aber auch insgesamt braucht es eine Untersuchung über die Gewalt gegen Geflüchtete in Bulgarien. Auch die Kriminalisierung von Aktivisten, die sich mit Menschen auf der Flucht solidarisch zeigen, muss aufhören. Wir haben versucht, Menschen vor dem Erfrieren zu retten. Der Aufwand, den die Grenzpolizei betrieben hat, um uns zu stoppen, hätte eigentlich dazu dienen müssen, die drei Menschen zu retten. Europaweit muss sich etwas ändern. Das, was gerade in Bulgarien passiert, geschieht an allen europäischen Grenzen.
Gaia B. ist Aktivistin bei der Organisation »No Name Kitchen«, die Menschen auf der Flucht unter anderem in Serbien und Bulgarien unterstützt
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