Waffenstillstand als »Schande«
Von Susann Witt-StahlDiesen Freitag beginnen in Kiew die »XII. Bandera-Lesungen« von ultrarechten Wissenschaftlern, Politikern und Aktivisten aus der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern. Themen sind die »Geschichte und Perspektiven des Befreiungskampfes der von Russland versklavten Völker«. Die Vorträge sind wie gewohnt der Propagierung des Krieges als »einzigartiger Gelegenheit« für die Errichtung einer Welt ohne Russland und mit einer »Großukraine« gewidmet – je prekärer die Lage der ukrainischen Truppen an der Front, desto leidenschaftlicher die Hingabe an die Visionen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN).
Die »Bandera-Lesungen« werden seit 2014 jeweils zu den Jahrestagen des Gründungskongresses der OUN (28.1.–3.2.1929) abgehalten – die erste Veranstaltung gab es bereits während der »Revolution der Würde«. Ein Höhepunkt in diesem Jahr dürfte die Ansprache von Oleg Medunizja, internationaler Führer ihres Bandera-Flügels (OUN-B), sein, der auch Vorsitzender des in den vergangenen Jahren neu aufgebauten Anti-Bolshevik Bloc of Nations (ABN) ist. Im Kalten Krieg war der ABN die größte Vereinigung von Hitler-Kollaborateuren weltweit. Viele Mitwirkende der »Bandera-Lesungen« 2025 – darunter Historiker, Militärs, auch der Kaplan des banderistischen »Rechten Sektors« – sind Dozenten der »Universität der Freien Völker«, die 2023 auf Initiative der OUN-B und des ABN gegründet worden ist. Einige treten als »Oberhäupter« von im ABN zusammengeschlossenen »versklavten Nationen« Russlands auf.
Organisator ist das Ukrainische Zentrum für Strategische Studien (USSD), eine banderistische Denkfabrik, die von Jurij Sirotjuk, Vizechef der faschistischen Swoboda-Partei, geleitet wird. Sirotjuk warnte unlängst vor einem »schändlichen Waffenstillstand«. Zu den wissenschaftlichen Mitarbeitern des USSD gehört auch Wladimir Tilischtschak, stellvertretender Leiter des Ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung, das dem Ministerkabinett Präsident Wolodimir Selenskijs untersteht.
Dass die Nachrichtenagentur des Verteidigungsministeriums Partner der »Bandera-Lesungen« ist, zeigt die engen Verbindungen ukrainischer Regierungen zu banderistischen und neonazistischen Parteien und Organisationen. Ebenso eine mehr als irritierende Tatsache, die der Swoboda-Vorsitzende Oleg Tjagnibok schon 2018 vermelden konnte: Seit dem Regime-Change »wurden auf der Grundlage der Entwicklungen der «Bandera-Lesungen» etwa 30 Gesetzesvorlagen ins Parlament eingebracht«. Das jährliche Stelldichein der politischen Erben der Ideologen und Vorkämpfer der OUN-B, ihres paramilitärischen Arms Ukrainische Aufständische Armee sowie der ukrainischen Waffen-SS findet auch seit jeher in staatlichen Einrichtungen statt: etwa im Forschungsinstitut für Ukrainische Studien, seit 2021 im Maidan-Museum – das von der Direktorin des Holocaust Memorial Museum in Washington, D. C. gefördert wird und Kooperationspartner des Goethe-Instituts ist.
Obwohl eine Antipathie gegenüber der liberalen Demokratie deutlich erkennbar ist – zum Beispiel lautete der Titel der »IX. Bandera-Lesungen« »Wie man die ukrainische nationale Revolution vollendet« –, hat 2024 auch erstmals ein Vertreter einer westlichen Nichtregierungsorganisation mitgewirkt: Janusz Bugajski, ehemaliger Berater der US Agency for International Development (USAID), ist für die Jamestown Foundation in Washington tätig, eine CIA-nahe Neocon-Denkfabrik, die 1984 unter Präsident Ronald Reagan eröffnet worden war. OUN-B und Co., die ab Mitte der 1940er Jahre von britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten sowie der Organisation Gehlen (Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes) unterstützt worden waren, erweisen sich längst wieder für NATO-Hardliner als nützlich – vor allem, wenn es darum geht, den Krieg gegen den Erzfeind weiter zu eskalieren.
Dass die »Bandera-Lesungen« den ukrainischen Faschisten auch als Bühne für Muskelspiele, Selbstvermarktung und PR als Legionäre im Kampf für die Stabilisierung der unipolaren Weltordnung dienen, wurde durch eine Rede vom Anführer der Neonazigang »C 14«, Jewgen Karas, auf der neunten Konferenz am 5. Februar 2022 deutlich: Keine drei Wochen vor Beginn der russischen Invasion pries er die Nationalisten als »Fahnenträger« der Ukraine, die einen Krieg losgetreten hätten, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht gegeben habe, und prahlte mit riesigen Waffenlieferungen aus den USA und Großbritannien. »Wir erfüllen die Aufgaben des Westens, weil wir als einzige dazu bereit sind, denn wir haben Spaß am Töten«, so Karas weiter. »Hier geht es um neue politische Allianzen auf globaler Ebene.«
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