Trauer und Wut in Antakya
Von Nick Brauns
Tausende Überlebende hielten in den frühen Morgenstunden des Donnerstag in vielen Orten der Südtürkei Mahnwachen ab, um der Opfer der verheerenden Erdbeben vor zwei Jahren zu gedenken. Neben Trauer äußerte sich auch Wut: über das Versagen des Staates, der die Menschen im Katastrophengebiet tagelang allein gelassen hatte, über die Gier skrupelloser Bauunternehmer, deren minderwertige Bauten wie Kartenhäuser eingestürzt waren, und über korrupte Bürokraten, die diese unsicheren Gebäude in stark erdbebengefährdeten Regionen abgesegnet hatten. »Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht vergeben. Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen«, hieß es auf einem großen Banner in Antakya, einer der am schlimmsten verwüsteten Städte, in der allein rund 20.000 Menschen gestorben waren. »Das war kein Erdbeben, das war ein Massaker«, skandierten die Demonstranten dazu. Nach Angaben des Justizministeriums wurden bislang 189 Personen etwa wegen Fahrlässigkeit verurteilt, gegen 1.850 Angeklagte sind noch Verfahren anhängig.
Am 6. Februar 2023 um 4.17 Uhr hatte ein Erdbeben der Stärke 7,7 den Süden der Türkei und den Norden Syriens erschüttert, später folgte ein zweites starkes Beben. Rund 40.000 Gebäude stürzten über ihren meist noch schlafenden Bewohnern ein, 220.000 weitere Häuser wurden schwer beschädigt. Nach offiziellen Angaben wurden dabei in der Türkei 53.737 Menschen getötet und 107.213 verletzt. Die tatsächliche Opferzahl dürfte um ein Vielfaches darüber liegen. Die Katastrophenschutzbehörde Afad war erst drei Tage nach dem Beben mit Räumgerät vor Ort. Da in den betroffenen Regionen viele alevitische Kurden und arabische Alawiten leben, die als Unterstützer der Opposition gelten, sahen viele darin eine absichtliche Vernachlässigung durch die Regierung. Gewerkschaften und sozialistische Parteien organisierten Freiwillige, um bei der Bergung von Verschütteten und der Versorgung der Überlebenden zu helfen. Heute leben nach Afad-Angaben weiterhin 400.000 Menschen in Containern. In der betroffenen Region kommt es regelmäßig zu Strom- und Wasserausfällen.
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