»Interpretationsgrenze überschritten«
Von Detlef Georgia Schulze
Unter den Executive Orders, die US-Präsident Donald Trump am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit erließ, hat sich auch eine Anordnung befunden, dass künftig ein dauerhafter, rechtmäßiger Aufenthaltsstatus der Eltern Voraussetzung sein soll, um die Staatsangehörigkeit durch Geburt auf US-Staatsgebiet zu erlangen. Diese Verordnung wurde schon vor knapp drei Wochen von einem Richter im US-Bundesstaat Washington für zunächst 14 Tage außer Vollzug gesetzt – am Donnerstag verlängerte er dies bis auf weiteres. Bereits am Tag zuvor hatte eine Richterin an der Ostküste ebenso entschieden, am Montag folgte nun ein dritter Richter in New Hampshire.
Gestritten wird über die Auslegung des Satzes in der US-Verfassung, der die Staatsangehörigkeit regelt, und der dazu bisher ergangenen Rechtsprechung. Der entsprechende Terminus lautet: »Alle Personen, die in den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und deren ›Jurisdiction‹ unterstehen, sind Bürger der USA und des Einzelstaates, in dem sie ihren Wohnsitz haben.« Das strittige englische Wort lautet »Jurisdiction«, weshalb es hier nicht übersetzt ist. Üblich wäre eine Übersetzung mit »Gerichtsbarkeit«; Trump würde es aber anscheinend in etwa mit »und die in einem Treue- und Schutzverhältnis (Allegiance) zu ihnen (den Vereinigten Staaten) stehen« übersetzen.
Wie kommt er darauf? Einen Vorwand bietet ihm eine 1898 ergangene Leitentscheidung des US-Supreme Court zu dem Satz, auf die sich auch die Gegenseite beruft. Dort finden sich zwar tatsächlich die Wörter »in der Loyalität und unter dem Schutz des Landes«, aber nicht ausdrücklich als Definition von »Subject to the jurisdiction« des in Rede stehenden Landes, sondern eher als Umschreibung der Konsequenz davon.
Damit sind wir beim zweiten Problem: Was bedeutet – im konkreten Kontext – »Allegiance«? Wieder kommen mindestens zwei Möglichkeiten in Betracht: Treue oder Treuepflicht. Trump scheint sagen zu wollen: Leute, die illegal in die USA einreisen oder sich dort nur temporär aufhalten wollen, verhalten sich nicht »treu« zu den USA – und folglich hätten auch deren in den USA geborene Kinder keinen Anspruch auf Staatsangehörigkeit.
Die Gegenposition stellt nicht auf die tatsächliche Treue von »unten« gegenüber »oben« ab, sondern auf die von »oben« auferlegte Treue- bzw. (Gesetzes-)Gehorsamspflicht. Dies ist auch die Auffassung des Richters im Bundesstaat Washington: Alle, die sich gegenüber den politischen und gerichtlichen Autoritäten der USA verantworten müssen, seien der US-Jurisdiction unterworfen. Dies sei die unmissverständliche Bedeutung der Wörter »Subject to the jurisdiction« – und dies gelte für alle in den USA geborenen Kinder, unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Eltern. Auch ansonsten zerpflückte der Richter, der in den 1980er Jahren von US-Präsident Ronald Reagan nominiert worden war, die Argumentation der Trump-Regierung.
Die US-Verfassung sei so geschrieben, dass sie die Wähler verstehen – mit Wörtern in ihrer üblichen Bedeutung. Die Trump-Regierung überschreite diese Interpretationsgrenze, wenn sie die Formulierung im Sinne einer ausschließlichen Unterworfenheit unter die US-Jurisdiction verstehe und damit – letztlich – alle in den USA geborenen Kinder von Eltern mit ausländischer Staatsangehörigkeit ins Zwielicht rücke. Auf die Treue (Allegiance) der Eltern zu den USA bzw. auf den rechtmäßigen Wohnsitz der Eltern in den USA abzustellen sei mit einem »normalen und alltäglichen« Verständnis der Staatsangehörigkeitsklausel nicht zu vereinbaren.
Auch werden Eltern in der entsprechenden Klausel nicht erwähnt. Vielmehr wird auf die Kinder selbst Bezug genommen – und diese sind nicht illegal eingewandert, sondern in den USA geboren. Also stehe diesen Kindern die Staatsangehörigkeit zu. Darüber seien sich in den Beratungen des 14. Verfassungszusatzes alle einig gewesen – sowohl die Befürworter dieser Regelung, die sich durchsetzten, als auch die Gegner. Diese Entscheidung dürfe nicht vom Präsidenten, der an die Gesetze gebunden sei, sondern ausschließlich vom Kongress im Zusammenwirken mit den Bundesstaaten – im für Verfassungsänderungen vorgesehenen Verfahren – revidiert werden. Inzwischen hat die Regierung Rechtsmittel gegen die Entscheidungen eingelegt.
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