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Aus: Ausgabe vom 12.02.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Erbschaftssteuer

Von Lucas Zeise
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Das Besteuern bekämpft nur Symptome. Protest der Aktivistin Marlene Engelhorn, selbst Millionärserbin (Davos, 19.1.2025)

Kapital entsteht nicht aus dem Nichts. Es wird auch nicht mühsam zusammengespart, sondern vererbt. In der Erbschaft wandert es von einer Generation zur nächsten. Der Eigentümerwechsel ist ein Hindernis, eine Krise im Akkumulationsprozess. Zu allem Überfluss greift auch hier der Staat ein, will wissen, wie hoch das transferierte Erbschaftsvermögen ist, um es dann »gerecht« zu besteuern.

Zunächst ein Blick auf Deutschland: Die Gesamtsumme der jährlichen Erbschaften ist unbekannt, wird aber auf etwa 400 Milliarden Euro geschätzt. Der Fiskus hat davon 2023 knapp 122 Milliarden Euro erbschaftliche Vermögenstransfers steuerlich erfasst. Davon wiederum waren mit 60 Milliarden Euro etwa die Hälfte erbschafts- oder schenkungssteuerpflichtig. Auf diese wurde eine Steuer von zwölf Milliarden Euro festgesetzt, wovon für die begünstigten Betriebsvermögen zwei Milliarden Euro erlassen wurden. Die im Resultat zehn Milliarden Euro Erbschaftssteuern machten also 2023 gut ein Prozent der gesamten deutschen Steuereinnahmen von etwa 900 Milliarden Euro aus.

Ein Prozent ist nicht gerade sehr viel. Kein Wunder, dass die Erbschaftssteuer im Bundestagswahlkampf keine große Rolle spielt. Die AfD auf der einen Seite will die Erbschaftssteuer explizit streichen, die FDP die Freibeträge bei der Erbschaftssteuer an die Inflation anpassen, die SPD die Erbschaftssteuer »reformieren«, die Grünen wollen höhere Erbschaftssteuern für große Vermögen und kleine und mittlere Erbschaften entlasten. Die Linkspartei wird konkreter: Sie will Erbschaften von über drei Millionen Euro mit 60 Prozent statt derzeit 30 Prozent belasten. Dafür sollen Freibeträge von 150.000 bzw. 300.000 Euro für enge Angehörige die kleinen Erbschaften entlasten.

Andererseits ist die Erbschaftssteuer juristisch, politisch und ideologisch kontrovers. Das Bundesverfassungsgericht hat die geltende Erbschaftssteuer in zwei Urteilen (2006 und 2014) für verfassungswidrig, weil dem Gleichheitsgrundsatz widersprechend, erklärt. Das Gleichbehandlungsproblem bezieht sich auf die ungleiche Bemessung der Vermögensarten. Ähnliches passierte mit der Vermögenssteuer. Das vernichtende Urteil des Verfassungsgerichts führte 1997 dazu, dass die Vermögenssteuer nicht mehr erhoben wird. Damals wies das Gericht darauf hin, dass der Wert von Immobilien im Vergleich zu anderen Vermögensarten systematisch zu niedrig angesetzt wurde. Seitdem wurden zur Ermittlung der Grundsteuer neue Werte angesetzt. Der Gesetzgeber hätte also locker die Vermögenssteuer wieder einführen können. Bei der Erbschaftssteuer wurde 2016 ein neues Gesetz verabschiedet, das umgekehrt das Betriebsvermögen weitgehend von der Steuer freistellt, wenn die Erben den Betrieb um weitere sieben Jahre weiterführen wollen.

Die Erbschaftssteuer ist international in den letzten vierzig Jahren unmodern geworden. Die Steuersätze wurden gesenkt, die Ausnahmetatbestände erhöht. Nicht wenige Länder haben die Steuer ganz abgeschafft, etwa Österreich und Schweden, sowie Macau und Hongkong, die sich dabei an die Sitten der Volksrepublik China anpassten. Thomas Piketty hat in seinem Wälzer »Das Kapital im 21. Jahrhundert« 2013 festgestellt, dass im 19. Jahrhundert 10 Prozent der Bevölkerung von ererbten Vermögen leben konnten. Im 20. Jahrhundert waren es nur noch zwei Prozent. Und heute liegt dieser Anteil bei 12 Prozent – ein Anzeichen für die national und international wachsende Ungleichheit.

Der Frühsozialist Henri de Saint-Simon (gestorben 1825) plädierte für die Abschaffung des Erbrechts. Karl Marx argumentierte, dass nicht das Erbrecht, sondern die bestehende ökonomische Organisation der Gesellschaft (sprich der Kapitalismus) die Ursache der Ungleichheit sei. Weder Piketty noch den Linken noch gar den Grünen kann man nachsagen, den Kapitalismus abschaffen zu wollen. Sie begründen, wenn überhaupt, ihr Begehren als Maßnahme gegen die immer noch zunehmende Ungleichheit.

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