Ohne Mahlzeit
Von Oliver Rast
Kühlschrank leer, Obstschale leer, Vorratskammer leer. Folge: Magen leer. Ein Fall von Ernährungsarmut. Auch in der BRD. Also eine armuts- und einkommensbedingte Fehl- und Mangelernährung. Kein Einzelphänomen, denn rund 13 Prozent der Bevölkerung hierzulande können sich nicht wenigstens jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten, hieß es am Mittwoch bei einer Pressekonferenz (PK) des Ernährungsrates Berlin, bei der Vertreter der Nationalen Armutskonferenz, der Diakonie und des Deutschen Instituts für Menschenrechte Inputs gaben.
Erwartbar besonders betroffen: Arme. Fast 30 Prozent jener Haushalte waren 2023 laut einer Eurostat-Umfrage ernährungsarm. »Damit liegt Deutschland auf Platz fünf des Negativrankings in der EU«, steht in der PK-Tischvorlage. Schlimmer noch, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hatte bereits 2021 ermittelt, dass etwa 1,2 Millionen Menschen hierzulande mit schwerer Ernährungsunsicherheit zu kämpfen haben. Das heißt? Kaum oder keine Nahrungsaufnahme. Im Extremfall haben diese Menschen tagelang nichts gegessen, »sie hungern – zumindest zeitweise«. Und nach UN-Definition hungert jemand, der weniger zu essen hat, als er täglich benötigt, um sein Körpergewicht zu halten und zugleich leichte Arbeit zu verrichten.
Ferner hatten Anwälte in einem Rechtsgutachten, beauftragt durch die Partei Die Linke, im November 2023 befunden, »dass die Regelsätze des Bürgergelds mit dem Recht auf eine angemessene Ernährung nach Art. 11 Abs. 1 UN-Sozialpakt nicht vereinbar sind«. Worum geht es dabei im Kern? Ganz simpel: um einen auskömmlichen Lebensstandard. Nicht mehr, nicht weniger.
Das fordert auch Sarah Brand. Denn das Recht auf Nahrung sei ein Menschenrecht, Punktum. »Deutschland ist verpflichtet, die im Sozialpakt enthaltenen Rechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten«, betonte die Ernährungsexpertin des Deutschen Instituts für Menschenrechte am Mittwoch gegenüber jW. Die Politik dürfe demnach die Menschen nicht daran hindern, ihr Recht auf Nahrung auszuüben. Renate Antonie Krause aus dem Koordinationskreis der Nationalen Armutskonferenz ergänzte gleichentags auf Nachfrage dieser Zeitung: »Das Recht auf Nahrung ist die Grundlage für die Umsetzung der Forderung nach einer warmen Mahlzeit pro Tag für alle.« Letztlich müssten alle physischen und finanziellen Zugang zu ausreichender und qualitativ hochwertiger Nahrung haben.
Nur, oftmals springen dabei Ausgabestellen für Lebensmittel ein, so etwa die bundesweit 975 Tafeln. Eigenen Angaben zufolge unterstützen sie zirka 1,6 Millionen Menschen mit Nahrungsspenden. Problem: Fast 40 Prozent der Tafeln haben temporäre Aufnahmestopps oder führen Wartelisten. »Diese Zahl zeigt, wie ernst die Lage ist«, hatte der Vorsitzende des Dachverbandes Tafel Deutschland, Andreas Steppuhn, im Dezember vergangenen Jahres gegenüber dpa erklärt. »Wir sind an Kapazitätsgrenzen angelangt.« Der Bedarf sei aber größer.
Die Leere in Kühlschrank und Co. – wie beheben? Teils mittels »Vertafelung der Gesellschaft«. Oder: Staatliche Daseinsfürsorge wird an eine Almosenverwaltung übertragen.
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