Fast verschlungen
Von Gisela Sonnenburg
Das Berliner Ballettpublikum atmet auf. Endlich gibt es beim Staatsballett Berlin eine richtig gute neue Produktion zu sehen, jenseits von Technoterror und Schwarz-in-Schwarz-Einerlei auf der Bühne. Kunterbunt, zärtlich und melodisch ist das neue Stück. Zu verdanken ist »Ein Sommernachtstraum« (nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare), der vorigen Freitag in der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt wurde, dem international renommierten, derzeit in Slowenien ansässigen Choreographen Edward Clug. Kommende Saison wird der 51jährige als »Artist in Residence« zum Ballett Dortmund wechseln. Mit dem slowenischen Komponisten Milko Lazar (59) hat er nun schon zum 23. Mal zusammengearbeitet – und ihnen ist ein Glücklichmacher gelungen.
Zu Beginn rekeln sich einige Tänzerinnen und Tänzer barfuß und leicht bekleidet am Strand, der allerdings etwas mehr warmes Licht (von Tomaž Premzl) vertragen könnte. Auf einem fahrbaren Lavafelsen thront die Herrschaft: Herzog Theseus hat mit Hippolyta eine vornehme Braut. Die beiden treten in den theaterbewährten Doppelrollen auf: Cohen Aitchison-Dugas ist auch als Elfenfürst Oberon souverän-männlich, seine Partnerin auch als Feenkönigen Titania schön lasziv, getanzt von Weronika Frodyma.
Für die Action im Stück sorgen zunächst vier kompliziert Liebende. Hermia (leichtfüßig: Riho Sakamoto) und Lysander (lyrisch: Kalle Wigle) sind ein Paar, in raffinierten, neoklassischen Pas de deux. Doch Hermias Vater will seine Tochter unbedingt mit Demetrius (sportlich: Matthew Knight) verheiraten. Das Pärchen plant die Flucht. Helena (dramatisch: Danielle Muir), die Demetrius liebt, verrät ihm den Plan. Er jagt den Verliebten nach. Helena folgt Demetrius, in der Hoffnung, ihn trösten zu können.
Im nächtlichen Wald verirrt sich das Quartett, zwischen Elfen, die große Blätter statt Hände haben. Allen voran begeistert Leroy Mokgatle als Puck, also als Chaos stiftender, schelmischer Luftgeist, mit akrobatisch-eleganten Tänzen. Mokgatle, die derzeit als Frau tanzt, aber als Junge geboren wurde, punktet auch in Spitzenschuhen. Sexy und neugierig, ist Puck das Zentrum der Aufführung. Oberon aber ist mit Puck unzufrieden. Denn es misslingt dem dienenden Geist, Ordnung in die Liebe zu bringen. So sind – dank eines Liebesnektars, den Puck hier aus den Fußspitzen der Elfen zieht – plötzlich beide Jungs in Helena verliebt. Erst beim zweiten Versuch klappt der Zauber, Lysander liebt wieder seine Hermia.
Schärfer spitzt sich der eheliche Krach von Oberon und Titania zu. Sie, mit den erotischen Künsten ihres Gatten unzufrieden, wird zänkisch. Zur Strafe muss sie sich in einen Esel verlieben. Dieser wiederum ist der verzauberte Bottom, ein Handwerker (fabelhaft getanzt von Ross Martinson), der seine rabiaten sexuellen Kräfte abreagiert. Mit dem Requisit Eselskopf wird fantasievoll gespielt. Bottom und Kollegen proben zudem für ein Theaterstück. Traditionell sind diese Handwerker grob lustig, sogar krass daneben. Edward Clug inszeniert sie mit Klamauk und Slapstick. Doch auch die Poesie erhält Raum. Eine an Beuys’ Blitzschlag-Hirsch erinnernde Installation ist eine stille Szene im Nebel.
Die Natur kann auch gefährlich sein. So für Bottom, der nach dem Akt mit Titania einer auf Rollen und Spitzenschuhen daherkommenden Gottesanbeterin verfällt. Er wird fast verschlungen, seine Gefährten retten ihn. Die Szene stammt von Clug, sie passt atmosphärisch vorzüglich zu Magie und Grusel, die seinen Sommernachtsalptraum beherrschen.
Traum oder nicht Traum? Wer will das schon so genau wissen. Am Morgen schwenken willige Untertanen ihre Melkeimer im Takt, wie in einer modernen Revue. Das Laientheater der Handwerker beim dreifachen Hochzeitsfest ist da schon vorbei. Die letzte Szene gehört Oberon und Puck: Via Blubbersound tuscheln sie miteinander. Ob sie neue Streiche aushecken?
Das ist ein tolles tänzerisches Spektakel, getragen und begleitet von der verständlichen, zwischen Jazz und Filmmusik pendelnden Partitur von Milko Lazar. Es dirigiert Victorien Vanoosten: Zimbeln und gezupfte Bässe, Harfen- und Flötensoli, Trommeln und Grillengezirpe überlagern sich und schaffen eine Symphonie der Naturwelt. Mal befindet man sich am Strand, mal im Dschungel. Aber immer in einer Mischung aus Minimal Music und großen Gefühlen: sehr gelungen.
Nächste Vorstellungen: 1., 9., 10. und 30.3.
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