Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 26.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rolf Dieter Brinkmann

Vier Druckfehler

Ein erster Schrei. Brinkmanns Brandflecken
Von Frank Schäfer
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Der Autor als Leser als junger Mann: Rolf Dieter Brinkmann

Brinkmann schließt Freundschaft mit den beiden Buchhandelslehrlingen Klaus Willbrand und Hartmut Sander, die sind sofort schwer beeindruckt. »Die Gedichte waren noch nicht so gut wie später in ›Westwärts 1 & 2‹. Aber man merkte schon deutlich, dass mit diesem Autor etwas passieren wird«, lässt sich Willbrand Jahrzehnte später vernehmen. Also gründen sie bereits nach ein paar Wochen einen Verlag. Da Sander noch nicht volljährig ist, übernimmt Willbrand das Geschäftliche. Die erste – und letzte – gemeinsame Buchpublikation »Ihr nennt es Sprache« ist eine 29seitige Gedichtbroschüre und trotz ihres geringen Umfangs ein teurer Spaß. Die Druckkosten der 500 Exemplare belaufen sich auf 1.200 Mark, Geld, das Willbrand in einer Tiefbaufirma erschuftet hat.

Brinkmann kommt zum Signieren vorbei, nimmt die als Honorar ausgemachten 20 Freiexemplare mit nach Hause, und bei der genaueren Durchsicht geschieht das, was jedem Autor schon mal passiert ist – er findet Fehler. »Es waren vier Druckfehler, ausgerechnet im ersten Gedicht war ›sonntags‹ großgeschrieben«, erinnert sich Willbrand. »Er vernichtete seine 20 Exemplare und bat mich, den Band nicht auszuliefern. Eine Bitte, der ich zähneknirschend nachkam.« So gelangt die erste offizielle Publikation Brinkmanns erst posthum an die Öffentlichkeit.

Der Dichter sucht noch nach seiner eigenen Form, und dabei fällt ihm viel Angelesenes ins Wort. Ein ältlicher Symbolismus bricht sich hier immer wieder Bahn, der den hohen Ton des 19. Jahrhunderts kontrastiert mit einer sich ostentativ im Ekel suhlenden Krankheitsmetaphorik. Das Gedicht »Das Sein« beginnt mit einem morbiden Geburtsszenario (»ein / erster Schrei / herausgeeitert / aus dem Schoß«) und schließt mit routinierten Verfallsbeschreibungen: »mit jedem Atem / entgegengewachsen der Erde und / in den Staub getreten be-vor / die Augen die Fülle erbrachen / und zurücksanken in / die blühende Fäulnis der / Leiber voller Segen«.

Das ist der Sound von vorgestern, gepaart mit der Ästhetik des Hässlichen, eine Traditionslinie, die von Baudelaire bis Benn reicht. Das sind nicht Brinkmanns eigene Beobachtungen und Imaginationen – so, stellt er sich vor, würde ein Poet dichten. Peter Rühmkorf, dem dieses Bändchen dediziert ist, hatte just in seinem Buch »Irdisches Vergnügen in g« ein Konzept etabliert, wie man mit der lyrischen Tradition produktiv umgehen kann. Nämlich in Form einer parodistischen Überschreibung, die das Alte, Obsolete auf links bürstet und es so wieder gegenwartstauglich macht. Brinkmann versucht sich auch daran, etwa in seinem Widmungsgedicht »An Gryphius«, das noch einmal die barocke Vanitas-Botschaft angesichts eines vom Krieg verheerten Landes aufruft. Aber so recht gelingt es ihm nicht, die alte Leier als einen wie auch immer gearteten Gegenwartsbefund zu aktualisieren.

»O / den Himmel ausgeräuchert / geschleift über die Dächer und weit übers Land / … / wieviel Generationen kamen danach so / aber starb es hin und wie Plunder / brennt unsere Hoffnung / in die ausgezährte / Nacht ein Irrlicht den Säuen / zum Trog«.

Vielleicht waren es solche Verse, die Brinkmann letztlich dazu bewogen haben, das Bändchen zu unterdrücken, und gar nicht so sehr die paar Druckfehler. Die waren vielleicht nur ein willkommener Anlass. Er war noch nicht so weit – in den meisten Gedichten jedenfalls nicht. Doch dann steht da ein Poem wie »Kulturgüter«, das durch seine plane Aufzählungsstruktur und den Verzicht auf jegliche Metaphorik einen ganz neuen Ton anschlägt. In stenogrammartiger Pointiertheit und mit hübsch maliziösem Blick bringt er darin seine Enttäuschung über den Kulturbetrieb zum Ausdruck, der ihn damals noch nicht mitspielen lassen wollte.

Eine Sonate von Stockhausen

drei Preise für Böll

das Dementi von Andersch

zwei Schmierzettel von Faßbender

Marilyn Monroe ist tot

ihre roten Morgenröcke

das Vermächtnis von Borchert

von Bense die Theorie

ein Jahr die Frankfurter

Ohrenschmalz von Enzensberger

die Lyrik Heissenbüttels

ein Fötus in Spiritus.

Das liest sich wie eine respektlos polemische Bestandsaufnahme dessen, was gerade so im Feuilleton der »Frankfurter« durchgenommen wird. Für Brinkmann sind das alles nur mehr museale Ausstellungsstücke, allenfalls besitzen sie symptomatischen Wert. Sogar der einst verehrte Borchert wird jetzt als totes Kapital aussortiert. Noch ist da erst mal nur die Diagnose, einen vitalen, zeitgemäßen, originären Gegenentwurf kann er bislang auch nicht liefern, aber er arbeitet daran.

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