Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 26.03.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Kredit

Von Lucas Zeise
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Absurdes Verhältnis: Der Staat produziert das Geld selbst und ist zugleich der wichtigste Kreditnehmer

Was ist Kredit? Der Kredit ist die Überlassung einer Arbeitsleistung, einer Sache, eines Tieres oder eines Menschen an einen anderen auf Zeit. Der Kredit begründet ein Schuldverhältnis des Kreditnehmers an den Kreditgeber. Der US-Anthropologe David Graeber schildert, wie sehr Schuld/Kredit in alten und neuen Kulturen die Gesellschaft bestimmen. Graeber ist Idealist: Er leitet die materiellen Schuldverhältnisse von ideellen und religiösen ab. Materialisten wissen, dass es umgekehrt ist. Die Schuld gegenüber den Göttern ist eine Analogie zu den realen Schulden, die die Menschen untereinander eingehen.

Hier einige Beispiele für solche Kredit-Schuld-Verhältnisse: Ein Bauer hilft mit Arbeitskräften einem anderen bei der Ernte. Der ist nun in des anderen Schuld. Sie wird beglichen durch umgekehrte Leistung oder Teilhabe am Ernteertrag. Der eine lässt das Vieh des anderen eine Saison oder jahrelang an seiner Wasserstelle saufen. Die Schuld kann beispielsweise in Kälbchen abgegolten werden. Der eine überlässt dem anderen in Hohlmaßen abgezähltes Saatgut. Der schuldet ihm in der Regel einen Teil der Ernte.

Vielfach gründen Schuldbeziehungen auf Hilfeleistungen und Teilnahme im Krieg, treten aber auch innerhalb von Familien und Stämmen auf. Sie treten in frühen Staaten auf und sie treten zwischen Herrschern und Beherrschten auf. In diesem Fall können die Pflicht zur Fronarbeit oder eine Steuerschuld auferlegt werden, obwohl diesen »Schulden« kein Kredit vorausging.

Karl Marx wählt bei der Darstellung des Kapitalisten, der aus der einfachen Menge seines Geldes G mehr Geld, nämlich G' zu machen plant, einen Schatzbildner aus, der die Ausgangssumme, auf welche Art auch immer, angehäuft hat. Die Ausgangslage war historisch anders. Nicht der Schatzbildner steht am Anfang, sondern der Kreditnehmer. Natürlich ist aber auch richtig, dass der Kreditnehmer/Kapitalist kein armer Schlucker sein konnte. Nur Menschen mit Vermögen sind kreditwürdig. Der Kredit jedenfalls ist der Vater des Kapitalismus.

Der Staat tritt im heutigen Monopolkapitalismus bei den Kreditbeziehungen der Menschen und Kapitalisten in dreierlei Weise auf. Er liefert das Recht, also die Form, welche der Kredit haben muss, um gültig und durchsetzbar zu sein. Er sorgt auch dafür, dass die Zahlung der Schulden gewährleistet wird. Er ist zugleich (als Zentralbank) der wichtigste Kreditgeber und als Emittent der Staatsschuld wichtigster Kreditnehmer. Staatsschulden sind einerseits eine Absurdität, andererseits eine vorzügliche Methode für Geldbesitzer, aus ihrem Geld mehr Geld zu machen. Absurd sind sie deshalb, weil der Staat das Geld selbst produziert.

So haben sich die Staatsschulden zum Schmiermittel für den internationalen Kapitalverkehr entwickelt. Staatsanleihen sind für das internationale Finanzkapital zur eigentlichen, zinstragenden Währung geworden. Die Staaten gelten in der Währung, die sie ausgeben, als die besten Schuldner.

Das wichtigste Kriterium für Status oder die Qualität eines Schuldners ist seine Zahlungsfähigkeit. Die Grundregel der Geldgeber lautet dabei: Ist der Schuldner ein armer Schlucker, muss er hohe Zinsen zahlen, hat er schon Geld wie Heu, wird ihm Kredit zu Minizinsen angeboten. Die Grundregel gilt selbstverständlich auch für Staaten. Reiche und finanzkräftige Staaten zahlen geringe Zinsen. Arme Staaten, also die meisten Länder, die mit dem euphemistischen Ausdruck »Entwicklungsländer« belegt werden, müssen hohe Zinsen zahlen, wenn sie überhaupt an Kredite kommen wollen. Anders als von reaktionärer Seite behauptet, behindern hohe Staatsschulden eher selten die Profitabilität, also den relativen Erfolg einer nationalen Kapitalistenklasse. Es ist umgekehrt: Steigende Staatsschulden sind ein Symptom politökonomischer Krisen.

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