»Wir suchen friedensorientierte und solidarische Antworten«
Interview: Milan Nowak
Sie arbeiten an der Universität Hamburg und organisieren gemeinsam mit anderen eine »Konferenz für Wissenschaftsfreiheit und internationale Solidarität«, die von Sonnabend bis Sonntag stattfinden soll. Was hat Sie dazu bewegt?
Wir organisieren die Konferenz als Hochschulangehörige, Lehrende, Forschende und Studierende diverser Hochschulen in Hamburg und Norddeutschland. Veranstalter ist das Referat für internationale Studierende des AStA der Uni Hamburg. Wir rufen zur Solidarität mit unseren Kollegen in Gaza auf und fordern konkrete Unterstützung. Gleichzeitig wollen wir Antworten auf die autoritäre Verengung der öffentlichen und akademischen Debatte im Namen der »Staatsräson« sowie auf die Militarisierung der Hochschulen finden.
Was wollen Sie erreichen?
Unsere Universitäten müssen sich gegen die Zerstörung palästinensischer Hochschulen durch die israelische Armee aussprechen und Solidarität organisieren: durch Partnerschaften für den Wiederaufbau, Stipendien oder Gastaufenthalte. Für ukrainische Wissenschaftler haben Hochschulen das bereits ermöglicht. Zum anderen wollen wir diskutieren und uns vernetzen. Wir erleben Versuche zur Disziplinierung der akademischen und öffentlichen Debatte – etwa durch die umstrittenen Bundestagsresolutionen des letzten Jahres sowie durch den Ausbau von Rüstungsforschung und Angriffe auf »Zivilklauseln« im Zuge der »Zeitenwende«. Darauf suchen wir friedensorientierte und solidarische Antworten.
Die Konferenz befasst sich unter anderem mit dem Wiederaufbau der zerstörten Bildungsinfrastruktur in Gaza. Welche Probleme stellen sich dabei?
Das größte Problem sind die Angriffe der israelischen Armee. Gegenwärtig ist dort keine Hochschule mehr in Betrieb. Nach offiziellen und UN-Angaben sind bereits 51 Universitätsgebäude im Gazastreifen zerstört und 57 beschädigt. Über 13.000 Studierende und mehr als 600 Hochschulmitarbeitende wurden getötet, über 2.300 Bildungseinrichtungen im Gazastreifen laut UN-Angaben zerstört. Viele Kollegen mussten fliehen und brauchen Stipendien, finanzielle und psychologische Unterstützung. Viele setzen ihre Lehre trotz allem online fort, und Studierende aus Gaza nehmen weiter daran teil. Deutsche Hochschulen müssen den Wiederaufbau der Bildungseinrichtungen unterstützen, etwa durch Partnerschaften.
Ein Podium wird sich der Frage nach Wissenschaftsfreiheit in der autoritären Wende widmen. Welches Beispiel fällt Ihnen dazu ein?
Nehmen Sie die Bundestagsresolutionen gegen Antisemitismus: Sie sind nicht umstritten, weil sie sich gegen Antisemitismus richten; seine Bekämpfung ist dringend geboten. Sie sind umstritten, weil sie Maßnahmen anregen, die auf eine Einschränkung der demokratischen Debatte hinauslaufen. So soll die (als unwissenschaftlich kritisierte, jW) Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance, kurz IHRA, implementiert werden, auf deren Grundlage sogar jüdische Stimmen als »antisemitisch« bezeichnet wurden.
Hochschulen werden zur verstärkten Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden angeregt. Auch der Vorschlag, an Hochschulen sogenannte Antisemitismusbeauftragte einzusetzen, würde bedeuten, den politischen und fachlichen Streit einfach an Autoritäten zu delegieren und zu beschränken. Dagegen regt sich Widerspruch, etwa in Fachgesellschaften und Wissenschaftsorganisationen. Entscheidend ist aber, dieser Kritik auch Gehör zu verschaffen.
Wie fällt die Resonanz bislang aus?
Sehr gut, der enorme Andrang hat auch uns überrascht. Wir sind mit 300 Anmeldungen bereits komplett ausgebucht, gegenwärtig tragen sich Interessierte in eine Warteliste ein. Wir erfahren große Unterstützung durch verschiedene Hochschul- und akademische Zusammenschlüsse sowie durch »Statements of Support« – etwa von Amnesty International, »Reporter ohne Grenzen« oder Professoren unserer Hochschulen.
John Lütten ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg
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