»Das ist ein gefährlicher Präzedenzfall«
Interview: Max Grigutsch
In einem Bericht weisen Sie nach, dass die TU Berlin und die Uni Rostock ihre Zivilklauseln verletzen, da sie sich in Zusammenarbeit mit Thyssen-Krupp Marine Systems, kurz TKMS, an militärischer Forschung beteiligen. Eine Zivilklausel ist eine freiwillige Verpflichtung, die Forschung für militärische Zwecke verbietet. Was genau wird erforscht?
Ein MUM (Modifiable Underwater Mothership, dt. etwa: modifizierbares Unterwassermutterschiff, jW) ist ein modulares, unbemanntes U-Boot – eine riesige Drohne unter Wasser. Es wird verschiedene Bestandteile haben, die während des Betriebs ausgetauscht werden können. Das am Projekt beteiligte Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat in einer rechtlichen Analyse festgestellt, dass es möglich ist, zivile gegen militärische Module auszutauschen, was im Hinblick auf Rüstungskontrollverträge zu erheblichen Problemen führen würde. 2019 gab es zudem einen Prototyp, der an der TU Berlin hergestellt wurde. Im selben Jahr bewarb TKMS eine militärische Konfiguration derselben Technologie.
Was ist Ihr Vorwurf?
Wir werfen TKMS vor, ein militärisches Projekt an Unis mit Zivilklausel anzubieten. Außerdem gibt es ein Problem mit der Sorgfaltspflicht seitens der Unis. Sie haben das Projekt nicht überprüft, obwohl es sich um ein bekanntes Militärunternehmen handelt. Eine unserer Forderungen ist die Stärkung der Prüfverfahren für solche Projekte. Ein Problem in diesem Fall ist, dass es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz finanziert wird. Das gibt TKMS etwas, hinter dem sie sich verstecken können. Wir behaupten, dass die Firma gezielt gelogen hat, um die Finanzierung und die Unterstützung der Unis zu erhalten. Auch künftige Kooperationen sind einzustellen, da TKMS kein geeigneter Partner für Unis mit Zivilklauseln ist. Ihre Waffensysteme werden bei schweren Kriegsverbrechen eingesetzt.
Sie denken, dass die Unis nicht über den Zweck des Projekts informiert waren?
Wir können nicht beweisen, dass die Universitäten wissentlich involviert waren. Aber sie hätten es wissen müssen. TKMS gibt an, dass es sich um grüne, zivile Technologie handelt. Doch bereits vor dem Ende des Projekts hat das Unternehmen eine militärische Konfiguration beworben.
Sehen Sie das Projekt im Kontext der aktuell laufenden Hochrüstung?
Die Tatsache, dass dieses Projekt im Jahr 2017 begann, mag einer der Gründe sein, warum versucht wurde, die militärischen Möglichkeiten zu verbergen. Damals gab es kein unbegrenztes Geld für militärische Forschung. Im aktuellen Kontext ist die Umgehung der Zivilklauseln ein gefährlicher Präzedenzfall.
Sie geben an, dass andere Technologien von TKMS beim Völkermord in Gaza zum Einsatz kommen. Haben Sie Grund zu der Annahme, dass dies auch bei diesem Projekt der Fall sein wird?
Atlas Elektronik, ein 100prozentiges Tochterunternehmen von Thyssen-Krupp, ist an diesem Projekt beteiligt. Atlas Elektronik ist Partner des Rüstungsunternehmens Israel Aerospace Industries. Gemeinsam arbeiten sie an einer unbemannten Mehrzweckplattform, einem U-Boot namens »Blue Whale«. Es ähnelt dem MUM-Projekt sehr, der Unterschied liegt im Grad der Modularität. Beide wurden im gleichen Zeitraum entwickelt. Wir gehen davon aus, dass die von der TU Berlin und der Uni Rostock entwickelte Technologie auf die militärische Version übertragen wird oder übertragen werden kann.
Haben Sie von der Universität Rückmeldung zu Ihrem Bericht erhalten?
Unser Bericht ist noch kein Angriff gegen die Uni. Wir liefern Argumente, um das Richtige zu tun. Bisher haben wir aber keine wirkliche Reaktion erhalten. Wir wollen der Uni-Präsidentin die Botschaft übermitteln, dass sie die Chance hat, einen Standard zu setzen. Es scheint, als würde das ganze Land in Richtung Militarisierung abdriften. Man muss jetzt handeln und die Zusammenarbeit mit TKMS einstellen. Wir werden den Druck weiter hochhalten.
Wenn nichts passiert, könnte es das Ende der Zivilklausel an Universitäten bedeuten. Wir hoffen, dass sich die Uni an die selbstauferlegten und behaupteten Werte und Richtlinien hält, auch wenn die Möglichkeit der Mitschuld am Völkermord ihnen egal ist.
Miri Kumo ist Mitglied des Forschungsteams von »Not In Our Name TU«. Die Gruppe setzt sich für die Befreiung Palästinas ein.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (14. April 2025 um 10:10 Uhr)Ein Kriegsvirus scheint das ganze Land erfasst und die Hirne befallen zu haben; viel gefährlicher noch als Corona. Und weit und breit kein wirksamer Impfstoff in Sicht.
- Antworten
Ähnliche:
- penofoto/imago08.04.2025
Studentengruppen: TU Berlin bricht Zivilklausel durch Zusammenarbeit mit Thyssen-Krupp Marine Systems
- Jens Büttner/dpa20.12.2024
U-Boot-Investitionen für Wismar
- Christian Charisius/dpa10.01.2018
Waffen für Nordafrika
Mehr aus: Inland
-
Gäste aus Griechenland
vom 14.04.2025 -
Für demokratische Türkei
vom 14.04.2025 -
Spahn hört Stimmen
vom 14.04.2025 -
Palästina-Aktivist bleibt freigestellt
vom 14.04.2025 -
Sozialausgaben unter Druck
vom 14.04.2025 -
Schrauber sind zum Streik bereit
vom 14.04.2025 -
»Wir haben noch genug strahlendes Erbe«
vom 14.04.2025