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Aus: Ausgabe vom 17.04.2025, Seite 6 / Ausland
Ukraine-Krieg

Torezk im Visier

Ukraine-Krieg: Russischer Vorstoß im Donbass bringt ukrainische Verteidigung ins Wanken
Von Lars Lange
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Die Schwächsten leiden im Krieg am meisten (Pokrowsk, 12.4.2025)

Besonders bei Torezk in der Region Donezk verdichten sich die Anzeichen für eine veränderte militärische Dynamik im Ukraine-Krieg. Dort gelang der russischen Armee in den vergangenen Tagen ein Durchbruch. Nach intensiven Kämpfen sicherten russische Streitkräfte zuletzt den 12. Bezirk der Stadt, einschließlich des nördlichen Vorortes Komsomol und der angrenzenden Reparaturbasis. Besonders bemerkenswert war ein etwa sechs Kilometer tiefer Vorstoß mit einer Fahrzeugkolonne in Richtung Pleschijiwka, wo russische Spitzen die Außenbezirke erreichen konnten, was einen tiefen Einschnitt in ukrainisches Gebiet darstellt. Dieser Vorstoß bildet eine strategische »Zunge«, die potentiell wichtige ukrainische Nachschubwege abschneidet. Diese ist teilweise nur wenige hundert Meter breit. Ukrainische Kräfte versuchen, die russischen Spitzen abzuschneiden.

Die Lage bleibt jedoch weiter dynamisch. Das zeigt sich an den wechselnden Geländegewinnen: Während russische Truppen die Kontrolle über die Abraumhalden westlich des Sabalka-Bezirks zurückerlangten und in die Dserschinskogo-Industriezone vordrangen, gewannen ukrainische Einheiten einige Positionen südwestlich des nahegelegenen Dorfes Osarianiwka zurück und infiltrierten westliche Randgebiete von Druschba. Zuletzt konnte die ukrainische Armee auch Teile der Industrieanlage am Rand des 12. Bezirks und Positionen im Chimkolonka-Bezirk zurückerobern.

An der Pokrowsk-Front, ebenfalls im Donbass, zeichnet sich ein klares strategisches Ziel der russischen Führung ab: Die Offensive richtet sich auf die Kontrolle der Ortschaften Mikolajiw im Osten und Grischine im Westen von Pokrowsk. Eine erfolgreiche Einnahme dieser Schlüsselpositionen würde die zentrale Nachschublinie der ukrainischen Verteidiger gefährden und könnte die Versorgung der gesamten Stadt unterbrechen. Parallel dazu hat die russische Armee bereits die Kontrolle über neue Teile von Lisiwka übernommen und ist erneut in Udachne eingedrungen. Die Situation in der Stadt Tschassiw Jar bleibt angespannt, da die russische Armee in den vergangenen Tagen Druck auf die ukrainische Garnison im zentralen Bezirk aus mehreren Richtungen ausgeübt und mehrere Gebäude eingenommen hat, darunter ein Gebäude des Stadtkrankenhauses.

Im Norden, an der Kursk-Front, eroberte die russische Armee nach einem Monat intensiver Gefechte die Ortschaft Schurawa vollständig und nahm angrenzende Stellungen an der Grenze zum Oblast Sumi ein. Weitere Vorstöße erfolgten in Richtung der ukrainischen Grenze westlich und nordwestlich von Guewo. Auch im Bezirk Sumi kam es zu Vorstößen. Russische Einheiten drangen auch in das Dorf Loknja ein, wo es zu Zusammenstößen mit ukrainischen Truppen kam.

Laut einer aktuellen Auswertung eines Analyseteams des Onlineportals Oryx beläuft sich die Zahl der bestätigten Ausrüstungsverluste im Kursk-Gebiet zum Stichtag 7. April auf 868 ukrainische gegenüber 750 russischen Fahrzeugen. Die Daten zeigen erstmals einen deutlichen Überschuss an ukrainischen Verlusten. Mit der weitgehenden Rückeroberung des Territoriums durch russische Streitkräfte fallen zudem zahlreiche der beschädigten Fahrzeuge, die eventuell repariert und wiedereingesetzt werden können, in russische Hände. Die Zahlen verdeutlichen, dass Russland im andauernden Abnutzungskrieg, dessen Schwerpunkt weniger auf territorialen Gewinnen als auf der Zermürbung gegnerischer Kapazitäten liegt, zunehmend die Oberhand gewinnt. Die Materialverluste der Ukraine übersteigen trotz NATO-Unterstützung die Nachschubkapazitäten, während Russland seine Rüstungsproduktion deutlich hochgefahren hat. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, droht eine Erosion der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit.

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