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Aus: Literatur, Beilage der jW vom 26.03.2025
Lyrik

Stenogramme der Barbarei

Wie der Wahnsinn des Krieges seine Feste feiert: Die Lyrik von Arben Idrizi
Von Kai Pohl
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Ich glaubte, ein Geräusch gehört zu haben, es war aber nur ein Knacken in den Ohren, ein Ton zwischen Knistern und Klirren, »mein verstört pulsierender Verstand«, der an die Schädeldecke klopfte, im Angesicht all dieser Zeilen voller Schilderungen des Unsäglichen: »Das ist der Krieg, dass (es der) Sprache die Sprache verschlägt«, und Krieg ist ja eigentlich immer, wenn auch nicht überall, immer aber ein Hohn auf »das friedliche Zusammenleben der Völker« (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 26), und wem es gelingen sollte, Arben Idrizis kürzlich bei Moloko Print erschienenes Buch »Gedichte über Krieg, Terrorismus und Flucht« in einem Rutsch durchzulesen, ohne dass der Verstand »verstört pulsierend« einschreitet, dem empfehle ich den Besuch wenigstens einer der Gedenkstätten des Menschenschlachthauses, die in Idrizis Gedichten Erwähnung finden: Treblinka, Birkenau, Auschwitz, Jedwabne, Józefów – vielleicht weil das Abtauchen in die Schrecken der Schoah es dem Autor ermöglicht, mit den Grausamkeiten der von ihm erlebten Gegenwart zurechtzukommen – in seinem Buch mit den drei Teilen »Gedichte über den Krieg«, »… über den Terrorismus« und »… über die Flucht«, wovon der erste gut drei Viertel des Werkes beansprucht, dessen zentraler Part »Die Barbarei des Banalen« mit einer schwer nachvollziehbaren Drastik – siehe oben – in der Schilderung von »schändliche(n) und übliche(n) Werk(en) menschlichen Wahnsinns« aufwartet und als des Autors Übertragung von Hannah Arendts »Banalität des Bösen« ins Zeitgenössische zu ­verstehen ist, des Autors Arben Idrizi, geboren 1974, Albaner aus dem Kosovo, Zeuge »der bestialischen Leidenschaft des Krieges« bei der Zerschlagung Jugoslawiens in den 1990er Jahren – »Albaner begeister(te)n sich für den Hass gegen Serben, / Serben begeister(te)n sich für den Hass gegen Albaner«, wer gegen wen auch immer – Albaner, Serben, Bosnier, Kroaten, die hier tatsächlich nicht gegendert werden müssen, denn »der Krieg hat kein weibliches Gesicht«, und mit Swetlana Alexijewitsch, die in ihrem Dokumentarroman von 1985 Schicksale und Erlebnisse sowjetischer Frauen während des Zweiten Weltkrieges beschreibt, fragt Idrizi: »Warum schämen sich die Menschen nie vor den Tieren?«, diese Angehörigen der Art Homo sapiens, die »verständigen, weisen Menschen«, die im Krieg ihre »Verbrechen nach Idealen eines kranken Geistes verüb(en)«: »Ich sah, o Mensch, die Böswilligkeit und die Gewalt – / ins Kraut schießen – gewässert / mit dem primitivsten Wahnsinn.« Der Krieg buchstabiert sich in Idrizis ­Gedichten als eine Ausgeburt der Herrschaftsform Patriarchat, womöglich dessen erste große »Erfindung«, die sich wie ein blutiger Strom in die Geschichte der Menschheit einschreibt, »die Geschichte ist erbarmungslos, / randvoll mit gewöhnlichen namenlosen Hohlköpfen, / randvoll mit ihren unschuldigen Opfern«: »Hingestreckte, leblose Körper, verkrüppelt, verstümmelt, zerstückelt, blutüberströmt.«

Von Arben Idrizi sind bislang sieben Gedichtbände erschienen, zuletzt »Përvojë dhe thagmë« (Erfahrung und Wunder, Pristina 2024) sowie die Prosa »Libri i dhunës« (Das Buch der Gewalt, Pristina 2019). Die knapp 50 Gedichte dieser seiner zweiten deutschsprachigen Buchveröffentlichung wurden von Zuzana Finger in einem unspektakulär-poetischen Ton übersetzt, der darauf schließen lässt, dass auch die albanischen Originale in realistischem Stil geschrieben sind, der ohne schmückendes Beiwerk auskommt: »Unter uns lag das brennende Dorf, wie bei einem Fest von Wahnsinnigen.« Idrizis Gedichte suchen nach Erklärungen für das Irrationale, die Brutalität, »traumatisiert und taub von der Absurdität des Krieges«, und finden sie in der Erziehung zum Töten durch Lüge, Manipulation, Kriegspropaganda, Feindbilderzeugung, Befehl und Gehorsam, bis Hass, Sadismus und Mordlust irgendwann zu Selbstläufern werden, »traumatisiert und taub vom Dröhnen der schweren Artillerie«.

Anstatt dass Offiziere in Schulen für den »Wehrdienst« werben, sollten diese Gedichte dort gelesen werden, denn »auch das ist eine Pflicht / der Dichter: Das Leben verteidigen / gegen die Kriegsherren«, gegen den Krieg als eine Form des Wahnsinns. »Der Fanatismus und die Ignoranz sind ein fatales Labyrinth des Verstands«, genährt von Rassismus und Nationalismen, vom ehernen Gesetz der »Wertproduktion«, das am Ende Leichen hinterlässt, Heere von Leichen, »produziert« mit den freigesetzten Destruktivkräften des Kapitals; zwanghaftes Produzieren von »Mehrwert«, das in Entmenschlichung mündet: »Ich bin der Sohn des Krieges / ich kann nicht mehr lieben / (…) meine Freunde sind gefallen / die Generäle und Verbrecher sind reich geworden.«

In einer Welt, welche die Produktion ihrer größten Schrecken mit Tarnnamen wie »Kriegskunst« oder »Kriegshandwerk« verharmlost, bleiben aufklärende Bücher wie dieses bittere Notwendigkeit, denn sie entreißen den Irrtum des gegenseitigen Drangsalierens und Abschlachtens von Menschen der Heroisierung und Sinngebung. Der Dichter Arben Idrizi schreibt wie ein Kriegsberichterstatter, seine Gedichte sind »Stenogramme der Barbarei« (Heiner Müller 1957 in seiner Rezension »Die Kröte auf dem Gasometer« des ersten Lyrikbandes von Günter Grass), hier allerdings in der wahrhaftigen Weise dokumentarischer Zeugnisse: »Sie (haben) Format, weil sie sowohl die Barbarei wie den Schmerz über die Barbarei in ihrer formalen Struktur (…) aufheb(en)« (Heiner Müller, s. o.), und sie sind Erinnerungsspeicher, bewahren das Gedenken an letzte Überlebende, z. B. Samuel Willenberg, Teilnehmer des Aufstandes im Vernichtungslager Treblinka, oder Lello Di Segni, Jude aus dem Ghetto von Rom, und neben vielen namenlosen Opfern auch an die serbische Greisin, die – »Kosovo war befreit« – von den »Befreiern« aus dem Fenster im 15. Stockwerk geworfen wird, »keinen Engel an ihrer Seite«.

Alle Zitate, wenn nicht anders angegeben, aus:

Arben Idrizi: Gedichte über Krieg, Terrorismus und Flucht. Aus dem Albanischen von Zuzana Finger. Moloko Print, Schönebeck/Elbe 2024, 110 Seiten, 15 Euro

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