Der Preis des Politischen
Von Kai KöhlerGisela Elsners erster Roman, »Die Riesenzwerge« von 1964, wurde gefeiert und preisgekrönt. Als sich die Autorin aber von Groteske und avantgardistischen Schreibexperimenten verabschiedete und das Monströse der bundesrepublikanischen Gesellschaft satirisch erfasste, wankte ihre Stellung im Literaturbetrieb. Nicht einfacher wurde ihre Lage dadurch, dass sie 1977 der DKP beitrat – zu einem Zeitpunkt, als einst politisch aktive Kollegen bereits wieder auf einen vorgeblich unabhängigen Standpunkt Wert legten. Die Literaturkritik lieferte Verrisse, 1986 trennte sich der Rowohlt-Verlag von der langjährigen Hausautorin. Angesichts des politischen Zusammenbruchs von 1989/90 und finanzieller sowie gesundheitlicher Probleme nahm sich Elsner 1992 das Leben.
Tanja Röckemanns Buch »Die Welt, betrachtet ohne Augenlider« über Elsner ist aus einer Dissertation hervorgegangen, weist aber zum Glück nicht die Probleme vieler solcher Schriften auf. Sie protzt weder mit kapitellangen methodischen Abwägungen noch mit halbverstandenem Fachjargon. Die Darlegungen sind durchweg an der Sache orientiert, und die Sprache ist zugleich verständlich und präzise.
Dabei geht es nicht um eine Interpretation von Elsners Romanen. Röckemanns Themen sind vielmehr Elsners Position gegenüber den politischen Entwicklungen ihrer Zeit und ihre Stellung im Literaturbetrieb. Wie eng beides zusammenhängt, postuliert Röckemann bereits auf der ersten Seite: »Dieses Buch stellt die Frage nach der Handlungsfähigkeit einer kommunistischen Schriftstellerin (oder einer schreibenden Kommunistin?) in der Bundesrepublik.« Die nicht sehr ermutigende Antwort ergibt sich aus den folgenden Kapiteln.
Der erste der drei Hauptteile behandelt »Gisela Elsner und die Sozialdemokratie« und ist nicht so kurz, wie der Titel es vermuten lässt. Zwar hat Elsner sich – anders als manche Kollegen – niemals in der Zeit vor 1968 wagemutig und nach gescheitertem Umsturz reumütig zur SPD bekannt. (Man glaubt es heute nicht, aber phasenweise war diese Partei für bundesrepublikanische Intellektuelle attraktiv.) Als Stoff für Satire hingegen war die sozialdemokratische Modernisierung des Kapitalismus für Elsner ergiebig, besonders in dem Roman »Der Punktsieg« von 1977 über einen fortschrittlichen Unternehmer, der dann aber in Wirtschaftskrise genauso Lohnabhängige entlässt wie seine offen reaktionären Klassenkumpanen. Von sozialdemokratischer Ideologie geprägt war indessen in den 70er Jahren auch der Rowohlt-Verlag, am Ende nicht zum Vorteil Elsners. Röckemann zeigt Verlagsfragen als politische Fragen.
Der zweite Hauptteil zeigt Elsners kritische Distanz zu den westdeutschen 68ern. Von Debatten über einen angeblichen Tod der Literatur oder einer unmittelbaren Funktionalisierung des Schreibens für den Klassenkampf finden sich in ihren Romanen, die einem kritischen Realismus verpflichtet sind, keine Spuren. Allenfalls den ungewollten Effekt einer Ästhetisierung der Politik entlarvt sie satirisch. Ebenso wenig hat Elsner mit der neuen Innerlichkeit zu schaffen, dem Katzenjammer nach der ausgefallenen Revolution. In den wenigen Fällen, in denen sie autobiographischen Stoff für ihre Bücher nutzte, zielte sie nicht auf warm-gefühlige Authentizität, sondern auf Klarheit der Erkenntnis. Entsprechend stand sie auch der westdeutschen Frauenbewegung fern, soweit diese Geschlechterklischees nur umkehrte und Empfindsamkeit als weibliche Qualität pries. Das – möglicherweise verkaufsfördernde – Label »Frauenliteratur« lehnte Elsner als »Ghettoisierung« ab. Polemisch fragte sie, ob denn Dante, Shakespeare oder Goethe »Männerliteratur« seien.
Als zentrales Problem sah Elsner nicht das Patriarchat, sondern die Klassengesellschaft. Entsprechend war ihre Partei die DKP. Röckemann zeigt die Widersprüche einer kommunistischen Partei, die als behördlich erlaubte Neugründung der als verfassungsfeindlich verbotenen KPD in ihren programmatischen Möglichkeiten beschränkt war. Eine Enttäuschung für Elsner war, dass ihre literarischen Fähigkeiten von der DKP kaum je genutzt wurden. In der Niedergangszeit der späten 80er Jahre konnte sie sich mit keiner der Hauptströmungen identifizieren. Die Abkehr der gorbatschowistischen »Erneuerer« vom Klassenkampf erkannte sie sofort. Ebenso begriff sie, dass ein bloßes »Weiter so«, wie es die Mehrheit im Parteivorstand betrieb, die Probleme nicht lösen würde. Röckemann arbeitet heraus, warum Elsner angesichts des Streits zweier reformistischer Strömungen an der DKP verzweifelte, aus- und dann doch wieder eintrat.
Vieles andere findet sich in diesem Buch: etwa zu Elsners Blick auf die DDR und ihre Rezeption dort, zur bundesrepublikanischen Literaturkritik. Das ist nicht immer einfach zu finden. Die Zuordnung mancher Aspekte zu den Hauptkapiteln wirkt willkürlich, Register fehlen, und das Inhaltsverzeichnis ist fragmentarisch.
Wo Röckemann Widersprüche bei Elsner sieht oder Elsner widerspricht, trennt sie klar die eigene Position von der der Autorin. So legt sie die Differenzen offen, und man kann darüber streiten. Sie argumentiert, dass Elsners theoretische Abwehr des Privaten in der Geschlechterfrage Romanen wie »Das Berührungsverbot« (1970) und »Abseits« (1982) widerspricht, die das Patriarchat in der Familie demaskieren. Auch sieht sie ein Spannungsverhältnis zwischen Elsners Entlarvung autoritärer Strukturen in der BRD und ihrer Zustimmung zum sozialistischen Staat. Aber natürlich geht das zusammen: kein Fortschritt ohne Organisation.
Tanja Röckemann: Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und »68«. Verbrecher-Verlag, Berlin 2024, 396 Seiten, 29 Euro
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