Zum Auslaufen bereit
Die Aktivisten der »Free Gaza«-Flottille bleiben auch nach dem griechischen Auslaufverbot friedlich, sind aber dem zivilen Ungehorsam nicht abgeneigt
Immer neue Fernsehteams stehen mit Kameras und Mikrofonen vor der »Tahrir«, die im Hafen von Agios Nikolaos auf das Auslaufen wartet. Die rund 50 Aktivisten, die mit dem 25 Meter langen kanadischen Schiff die israelische Blockade des Gazastreifens überwinden wollen, sind von Tag zu Tag begehrtere Gesprächspartner – auch für Urlauber, Einheimische und Segler, deren Boote in der Marina liegen.
Die Küstenwache hat gedroht, das Auslaufen der Hilfsflottille mit Gewalt zu verhindern. Die Aktivisten wollen friedlich bleiben, sind aber dem zivilen Ungehorsam nicht abgeneigt. Ursprünglich sollten die zehn Schiffe, von denen zwei durch Sabotage ausgefallen sind, bereits am 27. Juni auf internationalen Gewässern zusammentreffen, um Hilfsgüter in den abgeriegelten Gazastreifen zu bringen. Seither sitzen sie überwiegend in griechischen Häfen fest.
Nach immer neuen Verzögerungen, bei denen die Behörden zum Teil anonyme Hinweise auf technische Mängel überprüften – auf einzelnen Schiffen bis zu dreizehnmal – hat die griechische Regierung am Freitag offiziell ein Auslaufverbot verhängt. Wohlgemerkt für alle Schiffe unter griechischer oder ausländischer Flagge mit Kurs auf Gaza. Eine politische Entscheidung, begründet mit der israelischen Seeblockade, die damit, so der Schriftsteller Henning Mankell, an Griechenland »outgesourct« wurde. Die Organisatoren des Schiffskonvois hatten unverzüglich Anwälte in Marsch gesetzt und Gespräche mit Parteien und Gewerkschaften geführt.
Der griechische Parlamentsabgeordnete des Linksbündnisses SYRIZA, Michalis Kritsotakis, fand klare Worte für die Selbstaufgabe der nationalen Souveränität: »Griechenland ist im Moment ein Teil der israelischen Außenpolitik. Sie machen alles, worum sie gebeten werden.«
Lauter Jubel brach am Sonntag unter den Aktivisten auf der »Tahrir« aus, als bei der täglichen Frühbesprechung an Bord für Montag morgen, 8.00 Uhr Präsenz angeordnet wurde. »We are going to leave«, verkündete David, Linguistik-Professor aus Kanada und Mitglied des »Steering Committee«, das die Aktivität der nunmehr acht Schiffe umfassenden Flotte koordiniert. Wie zur Warnung legte kurz darauf ein Patrouillenboot der griechischen Küstenwache neben der »Tahrir« an, auf der Pier fuhr ein Polizeiwagen vor, bis an die Zähne bewaffnete Beamte stiegen aus. Wann das Schiff ablegen wird, ist unklar – wie sich die Küstenwache verhält, ebenfalls.
Zumindest in Agios Nikolaos stehen alle Zeichen auf Konfrontation. Die »Tahrir« ist bestens darauf vorbereitet: Die Teilnehmer haben anderthalb Wochen lang den friedlichen Widerstand geprobt – eine erste Bewährungsprobe gab es am Freitag, als ein Polizeibeamter daran gehindert wurde, mit beschlagnahmten Schiffsdokumenten von Bord zu gehen. Auch die Hafenmeisterin kann mittlerweile ein Lied davon singen, daß mit den Bürgerrechtlern aus Kanada, Australien, Belgien und Dänemark nicht gut Kirschen essen ist.
Auch das Schiff selbst ist bestens für eine Konfrontation gerüstet. Das gesamte Oberdeck ist mit engmaschigen und starken Fischernetzen gegen Tränengaskartuschen abgeschirmt, alle Teilnehmer sind darauf vorbereitet, Soldaten, die eventuell das Schiff zu entern versuchen, gar nicht erst zum Ruderhaus durchzulassen. Das aber müssen sie erst in die Hand bekommen, um die beiden Dieselmotoren stoppen zu können. Allerdings dürfte das nur mit äußerster Gewalt zu erreichen sein – es gäbe Schlagzeilen für die Weltpresse, die sich in den vergangenen Tagen immer intensiver mit dem Konflikt um die Gaza-Flottille befaßt hat.
Von seiten der Aktivisten wird es jedenfalls keine Gewalt geben – lediglich passiven Widerstand. Jeder an Bord hat sich per Unterschrift auf die »Red Lines« verpflichtet, die unter anderem vorschreiben, keinerlei Aggressivität auszuüben – auch nicht verbal. Sogar böse Worte gegenüber den Angreifern sind verboten.
Das Schiff wurde mit Spenden in Höhe von etwa 500000 kanadischen Dollar in Griechenland gekauft, mit etwa 50000 zusätzlichen Dollar ausgerüstet und umgebaut. Das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Jeder Dritte an Bord hat schon Enkel. Zu den Mitreisenden zählen Universitätsprofessoren, eine ehemalige Grünen-Abgeordnete aus Australien, ein einstiger Grünen-Senator aus Belgien, auch ein früherer Bürgermeister aus Kopenhagen ist dabei.