Merzens Sternstunde
Von Arnold Schölzel
Am Tag nach dem Ritt des »All in«-, also »Alles oder nichts«-Strategen Friedrich Merz in den AfD-Sumpf veröffentlicht sein wichtigster publizistischer Schlammwerfer Bild neue Umfragewerte: Derzeit reicht es nur für eine Koalition aus CDU/CSU (29 Prozent) und SPD (17 Prozent). So wird es wohl nach dem 23. Februar kommen. Die BRD steckt in mehreren Krisen, da müssen aus alter Gewohnheit die SPD-Erfinder von »Zeitenwende«, »Kriegstüchtigkeit« und der »Abschiebung im großen Stil« ran. Der nötige Staatsumbau und der Krieg verlangen patriotischen Einsatz.
Das sorgt für Durcheinander. Am Freitag verbucht Sebastian Weiermann im ND unter »gut und richtig«, wenn bei »Nazis raus« Merz gemeint ist, und fährt fort: »Aber es wird wohl zu wenig sein, wenn wir nicht sehenden Auges in den Faschismus schlittern wollen.« Weiermann fordert, »die gesamte Gesellschaft« müsse sich anstrengen, um das zu verhindern. Eine Nummer kleiner vermerkt Lukas Wallraff am selben Tag in der Taz, dass »Merz gegen einen zentralen Markenkern der CDU verstoßen hat: die klare Abgrenzung gegen Rechtsextremisten«. Das mache die »Brandmauer unglaubwürdig«. Lacht da wer?
Dem linksliberalen Schlittern und Flennen, das vom Krieg partout schweigen will, setzen die zur Merz-PR abkommandierten Profis verbale »Alles oder nichts«-Exzesse entgegen. Rang eins gebührt am Freitag Welt-Herausgeber Ulf Poschardt. Merz ist ihm das, was Donald Trump gern sein möchte: Erlöser. Der Abstimmungserfolg mit Hilfe der AfD beende Jahre »eines einschläfernden Konsenses«, sei daher »eher eine Sternstunde der Demokratie als eine Gefahr für eine solche«, habe den »postheroischen Sinkflug der parlamentarischen Debattenkultur« – offenbar kennt der Mann auch heroische Sinkflüge – zur Landung gebracht und »die strukturreaktionären Kräfte im Parlament« vorgeführt.
Das sind für Poschardt die Restampelianer. Angela Merkel, die »politisch längst zu den Grünen übergelaufen« sei, habe »die AfD groß gemacht«, »Europa« und Deutschland wirtschaftspolitisch »an den Abgrund geführt, migrationspolitisch in den Abgrund hinein«. Das mache »das Wirken von Merz, (Carsten) Linnemann und (Markus) Söder um so verdienstvoller«. Anders feierte die AfD ihren Sieg am Mittwoch auch nicht.
Auf Rang zwei beim AfD-Formulierungsähnlichkeitswettbewerb landete am selben Tag Berthold Kohler, Mitherausgeber der FAZ mit fallweisem Rappel für eine deutsche Atombombe. Nach ihm hätten SPD und Bündnisgrüne »der AfD den Triumph verweigern können«: Einfach mit Merz stimmen. Den aber rempelt der Großbürgersprecher auch an: Das sei »nicht die glücklichste Entscheidung des CDU-Vorsitzenden« gewesen, »mit Abstimmungen im Bundestag dem politischen Gegner diese Angriffsfläche zu bieten« und »von der Misserfolgsbilanz der Ampelkoalition abzulenken«. Deren und Merkels Unbeirrbarkeit in der Migrationspolitik habe schließlich »die fast schon scheintote AfD« wiederbelebt. Nun aber, ordnet Kohler an, dürfe Merz nicht wackeln: »Die Union kann jetzt, Merkel hin und (Rolf) Mützenich her, nur auf dem eingeschlagenen Kurs bleiben.« Das wird die AfD freuen.
Und Merz in die Koalition mit »Sozialdemokraten« oder gar »Grünen« zwingen. Wenn der seine »Form von sauerländischem Trumpismus«, so der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte im ZDF-»Heute-Journal« am Donnerstag, fortführe – »Keine Kompromisse!« –, drohe eine Situation, in der ein Kanzler vom Bundespräsidenten durchgesetzt werden müsse. Die wirkliche Zäsur, die am Mittwoch gesetzt worden sei, besteht laut Korte in der »Perspektive einer Zusammenarbeit mit der AfD«. Das nennt er »Sickergift«: die Gewöhnung der Gesellschaft an solche Aussicht der Mehrheitsbeschaffung. Merz, Poschardt und Kohler arbeiten daran.
Die wirkliche Zäsur, die am Mittwoch gesetzt worden sei, besteht laut dem Politikwissenschaftler Korte in der »Perspektive einer Zusammenarbeit mit der AfD«. Das nennt er »Sickergift«: die Gewöhnung der Gesellschaft an solche Aussicht der Mehrheitsbeschaffung.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Februar 2025 um 16:06 Uhr)In der Wochenendbeilage der Jungen Welt vom 01.02.2025 (Seite 3) veröffentlichte Arnold Schölzel den Artikel »Merzens Sternstunde«. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass Friedrich Merz mit seinem Kurs gescheitert war: Das Gesetz zur »Asylwende« fand im Bundestag keine Mehrheit. Die Debatte darüber, wer welche politische Strategie verfolgte oder welche mediale Bewertung der Vorgänge dominierte, ist somit weitgehend überflüssig. Fakt ist: Nach stundenlanger Beratung lehnte der Bundestag wirksame Maßnahmen zur Migrationskontrolle ab. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur die SPD, Grüne und Linke geschlossen dagegen votierten, sondern auch innerhalb der Union und FDP erheblicher Widerstand existierte. Zwölf Unionsabgeordnete verweigerten Merz die Gefolgschaft, während sich in der FDP zwei Abgeordnete gegen den Entwurf aussprachen, fünf sich enthielten und 16 der Abstimmung fernblieben. Vor diesem Hintergrund erscheint die Diskussion über mögliche politische Konsequenzen oder ideologische Einordnungen als spekulativ. Die Realität hat längst Fakten geschaffen: Merz konnte sich nicht durchsetzen, und das Gesetz scheiterte!
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